Ich weiß, dass viele Blogleser nicht an Krimi-Rezensionen interessiert sind, aber hier soll es nicht nur um den Krimi selbst gehen sondern auch darum, wie mir dieser eine Nacht mit schlechtem Schlaf beschert hat. Mich würde interessieren, ob es Leser gibt, die in letzter Zeit eine ähnliche Erfahrung gemacht haben?
„Im Dunkeln gibt es keine Schatten. Die Nacht macht alle Menschen gleich. Ob du gut bist oder böse, ob du stark bist oder schwach, ob Gauner oder Gottesmann, wurscht!“
„Nachts am Brenner“
Lenz Koppelstätter
Commissario Grauner #3
Krimi
Deutsch
4 Sterne (von 5 möglichen Sternen)
Empfehlung: Für Regionalkrimi-Liebhaber, die mehr Wert auf Spannung denn Klamauk legen.
Dieser dritte Teil um den Südtiroler Kommissar Grauner und seinen neapolitanischen Kollegen Saltapepe spielt am Brenner, dem Niemandsland zwischen Österreich und Italien, den Touristen wahlweise möglichst schnell nach Süden in den Urlaub oder gen Norden auf dem Rückweg in die Heimat hinter sich lassen möchten. Dort findet ein Bahnbeamter die grauslich zugerichtete Leiche eines alten Mannes. Im Zuge der Ermittlungen sieht sich das Team um Kommissar Grauner mit einem Wust an Spuren und Indizien konfrontiert: Drogenschmuggel, afrikanische Flüchtlinge, alte Nazi-Schergen, Beziehungsdramen… Besonders belastend für Kommissar Grauner ist eine Spur, die tief in die Vergangenheit seiner eigenen Familie führt und das Trauma um den nie aufgeklärten Tod seiner Eltern neu aufwühlt.
Bereits in den ersten beiden Teilen der Reihe hat es Lenz Koppelstätter geschafft, der Südtiroler Idylle empfindliche Kratzer zuzufügen. In „Nachts am Brenner“ empfand ich meine Lesestimmung aber noch eine Spur erdrückender, denn ich hatte die ganze Zeit unterschwellig das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde. Entsprechend gehetzt bin ich durch die Seiten geflogen, denn ich wollte endlich wissen, ob die Geschichte vielleicht doch gut ausgeht.
Aber warum hat mich dieser Krimi so tief erschüttert? Da wäre als erstes der Spielort der Geschichte am Brenner rundum Gossensaß. Dort habe ich selbst schon einen Zwischenstopp eingelegt und das im Buch mehrfach erwähnte Outlet besucht. Entsprechend plastisch konnte ich mir den Spielort der Geschichte vorstellen. Außerdem gehen mir Flüchtlingsthemen und Erzählstränge um Alt-Nazis immer besonders nahe. Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu, dass es Lenz Koppelstätter meisterhaft gelingt, eine gruselige Atmosphäre zu schaffen, bei der man als Leser jede Sekunde damit rechnet, dass nun der Super-GAU eintritt.
Als Schwachpunkt der Geschichte würde ich die vielen Ermittlungsrichtungen bezeichnen. Da wurden mir zu viele Spuren „abgevespert“, mit dem Ergebnis, dass die Handlung ab und zu etwas zu verworren war. Andererseits ist das vielleicht sogar ein Punkt, der der Geschichte besonders viel Realismus beschert, denn im wahren Leben eines ermittelnden Kommissars werden sich die Spuren häufig auch nicht nur auf zwei Richtungen beschränken.
Der Lokalkolorit war wie immer in Koppelstätters Büchern unschlagbar. Man kann sich die Südtrioler Stammtischbrüder, den brütend heißen Sommer in Bozen, die Touristenmassen, die sich in Blechlawinen über den Brenner quälen etc. bildlich vorstellen. Sehr erfrischend finde ich nach wie vor, dass der Autor auf die ansonsten in Lokalkrimis quasi immanenten Klamaukelemente verzichtet bzw. wenn er sie einflechtet, machen sie Sinn (wie wenn er z.B. Grauners Liebe zu seinem alten Fiat Panda beschreibt).
Auch der geschichtliche Bezug hat mir super gefallen. Es war sehr interessant zu lesen, welche Rolle Südtirol in der Zeit um 1945 gespielt hat. Da man sich im Geschichtsunterricht in Deutschland das sehr auf die Ereignisse in Deutschland konzentriert, finde ich es immer spannend, auch etwas über andere Länder zu der Zeit zu erfahren.
Warum nun hat mir „Nachts am Brenner“ eine Nacht mit schlechtem Schlaf beschert? Ich habe das Buch an einem Wochenende zu später Stunde im Bett beendet. Zunächst sah es nach einem typischen Krimifinale aus: Fall gelöst, die bösen hinter Gitter. Doch dann kam der Epilog. Und mir lief es kalt den Rücken hinunter… Deshalb muss ich Lenz Koppelstätter ein Kompliment machen: was für ein starkes Ende. Auch wenn es mich schlecht schlafen ließ…
Lenz Koppelstätter besetzt gemeinsam mit Andreas Föhr und Jörg Maurer definitiv die Top 3 meiner Regionalkrimi-Favoriten. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Band.
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