Ich gebe es ehrlich zu, nachdem ich „Die Schweigende“ von Ellen Sandberg zugeschickt bekommen hatte, war ich mir kurzzeitig unsicher, ob dieses Buch wirklich etwas für mich ist. Oder ob diese Geschichte von den vergessenen Heimkindern der 50er bis 70er Jahre zu brutal für mich sein könnte. Zum Glück habe ich mich nicht abschrecken lassen.
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Ein dunkles Familiengeheimnis – und ein dunkles Kapitel in der Geschichte der BRD
Eine Familie droht nach dem überraschenden Tod des Vaters auseinander zu brechen. Während die schon immer mit diversen Macken „gesegnete“ Mutter gänzlich den Halt zu verlieren scheint, zerstreiten sich die drei erwachsenen Töchter ob der Frage, wie mit der labilen Mutter umgegangen werden soll. Für weitere Aufregung sorgt, dass die mittlere Tochter vom sterbenden Vater den Auftrag erhalten hat, in der Vergangenheit der Mutter zu wühlen.
Nach und nach kommen die dunklen Geheimnisse der Mutter an die Oberfläche und werfen nicht nur ein gänzlich neues Licht auf deren Verhalten gegenüber ihren Töchtern. Sondern auch die Töchter selbst beginnen zu verstehen, warum sie so wurden, wie sie sind.
Grandioser Spannungsbogen
Was für ein intensives und erschütterndes Buch! Ellen Sandberg gelingt es in „Die Schweigende“ einen grandiosen Spannungsbogen aufzubauen. Dadurch, dass die Geschichte abwechselnd aus Sicht der Mutter und einer der drei Töchter erzählt wird, setzt sich die Vergangenheit der Mutter nach und nach wie ein Puzzle zu einem Großen und Ganzen zusammen.
Ein Denkmal für die vergessenen Heimkinder
In meinen Augen ist es Ellen Sandberg mit „Die Schweigende“ gelungen, den vergessenen Heimkindern der Nachkriegsbundesrepublik ein Denkmal zu setzen. Denn durch die Erinnerungen der Mutter zeichnet sie nicht nur ein schonungsloses Bilder der damaligen Vorkommnisse. Es gelingt ihr auch, den Bogen ins hier und heute zu spannen und aufzuzeigen, warum nicht nur die Mutter nie ein normales Leben wird führen können. Sondern darüberhinaus warum sich solch traumatische Erlebnisse auch auf das Leben der Kinder und Kindeskinder auswirken. Auch das einzige Hilfsmittel, das es in einer solchen Situation gibt, wird aufgezeigt: die Therapie. Für mich wurde sehr anschaulich geschildert, dass der Weg des Verdrängens definitiv der falsche ist.
Ein erschütterndes Buch
Mich ließ „Die Schweigende“ lange nach dem Lesen nicht los. Die Frage nach dem „warum“ beschäftigt mich noch immer. Wie konnte es dazu kommen, dass die Erwachsenen (im Buch bestehend aus Nonnen und männlichem Lehrpersonal) ihre Machtposition gegenüber den ihnen anvertrauten minderjährigen Schützlingen so rücksichtslos und grausam ausgenutzt haben? Wie kann ein Mensch so werden? Insbesondere ein Mensch, der sich eigentlich Gott und Grundsätzen wie der Nächstenliebe verpflichtet hat.
Reichlich bizarr mutet es auch an, dass Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande die ersten waren, die sich dem Schicksal der Heimkinder angenommen haben. Es bleibt zu hoffen, dass so etwas heutzutage nicht mehr vorkommen kann. Plus dass die Vergehen der Vergangenheit komplett aufgearbeitet werden und die Opfer eine Entschädigung (die im Endeffekt nie mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann) erhalten.
Fazit
„Die Schweigende“ ist von meiner Seite eine absolute Leseempfehlung. Denn neben all dem, was man über ein sehr trauriges Kapitel der Geschichte der BRD lernt, ist es auch ein wahnsinnig spannender und gut geschriebener Roman. Es vereint also eine geschichtliche Lehrstunde mit einem spannenden Lesevergnügen. Es ist kein dünnes Buch, dass ich wegen dieser Qualitäten trotzdem innerhalb kurzer Zeit beendet habe.
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