|Leseliebe| „Mühlensommer“ von Martina Bogdahn

Ich liebe Geschichten, in denen Protagonistinnen nach längerer Abwesenheit in ihre Heimat zurückkehren. Und zwar nicht erst seit gestern. Mich hat schon vor vielen Jahren z.B. das wundervolle „Der Geschmack von Apfelkernen“ von Katharina Hagena begeistert. Kein Wunder also, dass mich auch der Klappentext von „Mühlensommer“ von Martina Bogdahn direkt angesprochen hat.

Werbung: das Buch wurde mir von Netgalley kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt.

 

Mühlensommer von Martina Bogdahn Rezension

 

Land vs. Stadt / Damals vs. Heute

Heute: Maria lebt das typische Leben einer alleinerziehenden Großstadtmutter, die versucht, sich selbst zwischen ihren Teenietöchtern und dem stressigen Berufsalltag nicht zu verlieren.

Damals: Maria wächst abgeschieden in einem zutiefst ländlichen Umfeld auf. Einerseits kann man sich kaum eine idyllischere Kindheit vorstellen. Andererseits fehlt Maria der Zugang zur Moderne und Bildung.

Als ihr Vater einen Unfall hat, kehrt Maria zum ersten Mal seit langer Zeit wieder für mehr als nur einen kurzen Besuch auf den Bauernhof ihrer Eltern zurück. Dort prallen nicht nur Welten aufeinander, sondern auch ungelöste familiäre Konflikte brechen plötzlich wieder offen hervor. Für welche Welt wird sich Maria entscheiden?

 

Authentische Kindheit auf dem Land

Obwohl ich einige Jahre jünger als die Autorin bin, konnte ich soviel, von dem sie schreibt, 1:1 nachzuvollziehen. Denn auch ich bin in ländlicher Umgebung aufgewachsen. Obwohl wir keinen Bauernhof hatten, stammen viele meiner Vorfahren aus der Landwirtschaft und das Thema Hausschlachtung z.B. war in meiner Kindheit noch immer präsent. Auch diese Zerrissenheit zwischen Stadt und Land kenne ich. Irgendwie passt man weder 100% zum einen noch zum anderen. Was ich am Ende aber gar nicht schlimm finde, denn so kann ich mir das Beste aus beiden Welten herausgreifen.

 

Hörbuchkritikpunkte

Ich habe „Mühlensommer“ als Hörbuch konsumiert und hatte zu Beginn ehrlicherweise ein paar Anpassungsschwierigkeiten. Denn die Autorin liest selbst. Was einerseits eine charmante Idee ist, andererseits habe ich gemerkt, dass sie eben keine professionelle Hörbuchsprecherin ist. Weshalb ich mich erst an ihre Stimme und ihre Art zu lesen gewöhnen musste.

Nach diesem Anpassungsprozess gab es nur noch eine Sache, die mich am Hörbuch gestört hat: in der auf Netgalley zur Verfügung gestellten Version handelt es sich um eine gekürzte. Da insbesondere die in der Vergangenheit liegenden Abschnitte szenisch erzählt wurden, habe ich beim Hören die ganze Zeit überlegt, welche Szenen mir wohl vorenthalten wurden. Da das Buch nur gut 300 Seiten umfasst, ist es mir ein Rätsel, warum man überhaupt eine gekürzte Version auflegen musste. Denn das ungekürzte Hörbuch umfasst auch lediglich 7 1/2 Stunden.

 

Ungeschönter Blick auf die Landwirtschaft

Inhaltlich konnte mich „Mühlensommer“ hingegen überzeugen. Ich mochte, wie ungeschönt und ohne zu romantisieren Maria Bogdahn vom harten Alltag in der Landwirtschaft erzählt. Dort sind Tiere eben nicht zum Spielen da sondern werden „produziert“ und irgendwann (meist) auch getötet. Dieser Realität sollten vor allem Menschen, die tierische Produkte konsumieren, unbedingt ins Auge blicken. Denn meiner Meinung nach ist einer der Kardinalsfehler, dass heutzutage das Produkt Fleisch im Supermarkt viel zu weit vom Produktionsprozess entkoppelt ist. Jedem Konsumenten sollte klar sein, dass dieses Schnitzel einmal Teil eines Lebewesens war. Um das ganze auf die Spitze zu treiben: und nur, wenn ich die Nerven habe, bei einer Schlachtung zuzuschauen, sollte ich das auch kaufen dürfen.

So gut ich fand, wie drastische die Prozesse in der Landwirtschaft geschildert wurden, eine Triggerwarnung hätte ich mir trotzdem gewünscht. Denn in meinen Augen kann schon eines der ersten Kapitel (Stichwort Katzen) sensible Gemüter sehr aus der Bahn werfen.

 

Der Charme zweier Zeitebenen

Ich mochte sehr, dass „Mühlensommer“ auf zwei Zeitebenen erzählt wird. Mich hat fasziniert, wie sehr sich Maria als Kind nach dem Einzug moderner Zeiten gesehnt hat. Wie gerne sie aufs Gymnasium in der großen Stadt gehen, moderne Kleidung tragen und einmal beim „goldenen M“ essen wollte.

Zeitsprung: im hier und heute haben die letzten beiden Dinge – Stichwort Überkonsum – den Planeten an den Rand des Kollaps gebracht. Diese Schizophrenie wurde in meinen Augen in „Mühlensommer“ wunderbar herausgearbeitet.

Auch gibt der Inhalt des Buches viel mehr Denkanstöße beim Thema „moderne Landwirtschaft“, als es jede Podiumsdiskussion oder Bauerndemo jemals könnte.

 

Fazit

Mich hat „Mühlensommer“ zurück in meine eigene Kindheit entführt, denn ich habe so viel, von dem die Autorin erzählt, genauso erlebt. Ich würde mir wünschen, dass viele Menschen dieses Buch lesen, um zu verstehen, wie Landwirtschaft wirklich funktioniert.

 

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