|Leseliebe| „Weltmeister ohne Talent“ von Per Mertesacker / Rezension

Bitte nicht gleich wegklicken, weil es sich um einen Artikel zu einem Sportthema handelt. Ich habe mir ein paar Zitate von Per Mertesacker herausgepickt und analysiere an deren Beispiel seine Einstellung zu gesellschafts- und sportpolitischen Themen. Ist also nicht nur für eingefleischte Fußballfans von Bedeutung.

Aufmerksam geworden bin ich auf „Weltmeister ohne Talent“ durch das Interview, das Per Mertesacker vor einigen Wochen gegeben hat, und das hohe Wellen schlug. Darin hat er offenbart, dass Fußball für ihn nicht immer mit reinem Spaß und Vergnügen verbunden war, sondern dass er sehr unter dem Erfolgsdruck gelitten hat. Das hat sich u.a. dadurch geäußert, dass er vor Spielen mit Übelkeitsanfällen zu kämpfen hatte. Außerdem war er bei der WM 2006 im eigenen Land regelrecht erleichtert, als der Weg der deutschen Nationalmannschaft im Halbfinale gegen Italien zu Ende war.

Gleich vorneweg, im Buch wurde nach meinem Eindruck bezüglich dieser Vorkommnisse ein weniger dramatisches Bild gezeichnet. Das kam in dem Interview – warum auch immer – wesentlich krasser herüber.

 

Rezension zu Weltmeister ohne Talent von Per Mertesacker

„Weltmeister ohne Talent“

  • Per Mertesacker
  • Biografie
  • Deutsch
  • E-Book
  • Das E-Book wurde mir von netgalley für eine Rezension zur Verfügung gestellt.
  • 4 Sterne (von 5 möglichen Sternen)

Was Euch erwartet

„Weltmeister ohne Talent“ ist in verschiedene Abschnitte gegliedert. Es beginnt mit Pers Kindheit und Jugend in Pattensen und setzt sich mit „Bundesliga“, „Premiere League“ und allem rundum die Nationalmannschaft recht chronologisch fort. Früher habe ich mich mit nicht systematisch aufgebauten Biografien schwer getan, mittlerweile habe ich mich an eine „episodenhaftere“ Erzählweise gewöhnt und fand die sehr stringente Vorgehensweise in Per Mertesackers Buch beinahe langweilig.

Trotzdem war es spannend zu lesen, was Per zu erzählen hat. Im Gegensatz zu den über Fußballer kursierenden Vorurteilen ist er ein reflektierter Sportler und hat durchaus etwas zu sagen. „Weltmeister ohne Talent“, der Titel des Buches, rührt übrigens daher, dass Per Mertesacker in jungen Jahren kein fußballerischer Überflieger war und seine Karriere erst spät ins Rollen gekommen ist. Ich greife in der Folge ein paar Aussagen heraus, die mich besonders beeindruckt haben.

 

Rezension zu Weltmeister ohne Talent von Per Mertesacker

 

Zitate und warum sie mir aus dem Herzen sprechen

„Nicht jeder wächst in einem wohlbehüteten Elternhaus in einem Wohlstandsland wie Deutschland auf, mit einem Vater, der jede freie Minute in den Fußball investiert, und einer Mutter, die alle Anstrengungen mitträgt und unterstützt.“

Meine Rede! Es ist keine Kunst, dass ich mein Leben im Griff habe, in der Schule immer gut war und problemlos ein Studium abschließen konnte. Denn ich hatte auch die entsprechenden Voraussetzungen. Eltern und Großeltern, die sich gekümmert haben. Eine idyllische Kindheit auf dem Lande, bei der ich mir ehrlich nicht sicher bin, wie ich überhaupt mit Drogen z.B. hätte in Kontakt kommen sollen. Mit dem 2x am Tag fahrenden Bus inklusive mehrmaligem Umsteigen in die nächste Kleinstadt?! Man muss natürlich trotzdem etwas aus diesen Startvoraussetzungen machen, darf aber nie vergessen, dass andere diese Möglichkeiten nie hatten. Wie soll man als Kind auf die Idee kommen, dass sich Fleiß und Hartnäckigkeit auszahlen, wenn die Eltern etwas ganz anderes vorleben? Viele, die in einem intakten Elternhaus aufgewachsen sind, vergessen das gerne.

 

Über seine erste Unterkunft in London:
„Es zog und pfiff überall.“

Ich liebe Großbritannien, aber das werde ich nie verstehen: dass man bei diesem rauen Seeklima keine vernünftig isolierten Häuser bauen kann. London ist deshalb bei mir gleichbedeutend mit „Frieren“. Ich kann mich noch gut an meinen letzten London-Aufenthalt erinnern, wie wir mit Jacken beim Essen saßen, weil es in dem Restaurant so saukalt war. Oder eine Freundin von mir, die ein Jahr als Austauschschülerin in England war, und in der Zeit nur gefroren hat.

 

„Ich fand andere Wege, schmerzfrei und überhaupt gesünder zu werden. Zum Beispiel über die Schiene der Ernährung. … Wir variierten viel, mit Sojaprodukten, mit Kokosnussjoghurt, Früchten und Leinsamen, mit Ölen, Nüssen und weniger Fleisch.“

Das aus dem Munde eines Fußballers. Ich bin beeindruckt. Finde ich super diese Aussage, vor allem nachdem die Presse noch immer die Sau durchs Dorf treibt, dass eines der Hauptprobleme des BVB mit Trainer Thomas Tuchel dessen strenge Ernährungsgewohnheiten waren.

 

„Ich war zum Beispiel auch von Anfang an ein Fan von Yoga. Als junger Hüpfer hatte ich das bei der Nationalmannschaft kennengelernt und gleich gesehen, aha, da gibt es etwas, das Stabilität und Flexibilität bringt.“

Für diese Aussage feiere ich Per Mertesacker ebenfalls. Wer erinnert sich noch an den Spott zu den neumodischen Trainingsmethoden, dem sich das Trainerteam um Jürgen Klinsmann ausgesetzt sah? Und dabei sind Beweglichkeit und muskuläre Stärke im ganzen Körper (und nicht nur im Fuß…) so wichtig. Wenn ich daran denke, was für unbewegliche Fußballer ich bei einer Schnupperstunde Pilates erlebt habe. Da ist schon ein Schneidersitz ein Ding der Unmöglichkeit.

 

„Fußballer sind es leider gewöhnt, nur drei Stunden am Tag zu arbeiten, während andere Leistungssportler sich den ganzen Tag mit ihrem Beruf beschäftigen.“

Ein Fakt, über den ich mich schon lange wundere. Insbesondere frage ich mich, ob ein Fußballer das Training einer Rhythmischen Sportgymnastin (grob geschätzt 8 Stunden am Tag) überhaupt durchhalten würde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass kleine Russinnen in solchen Sportarten einen wesentlich härteren Umgang gewöhnt sind als der durchschnittliche Fußballer. Schicke Mesut Özil oder Mario Götze ins Training zu Eteri Tutberidze (Trainerin der amtierenden Eiskunstlaufolympiasiegerin) und sie werden nach einem Tag vermutlich weinend zusammenbrechen.

Fazit

Für mich war „Weltmeister ohne Talent“ eine interessante Lektüre, die mich nie an ein „trockenes“ Sachbuch denken ließ. Per Mertesacker führt einige spannende Thesen ins Feld, die aufzeigen, dass er kein eindimensionaler Fußballer ist, der nur an der Farbe seiner Fußballschuhe Interesse hat (oder der sich ohne Nachzudenken mit einem lobhudelnden Trikot neben einen umstrittenen Staatsmann stellen würde). Als kleinen Kritikpunkt möchte ich den Aufbau des Buches anführen. Da hat sein Co-Autor bei der Biografie von Jürgen Klopp eine spannendere Erzählweise an den Tag gelegt. Davon abgesehen: ein wirklich gutes Sportbuch.

2 Kommentare

  1. 20. Mai 2018 / 17:06

    Huhu Steffi,
    ich bin ja nach wie vor nicht wirklich ein Fan von Fußball. Ich freue mich aber sehr, dass du mit Per M. Buch nun zu einem Buch über einen Fußballspieler gegriffen hast, welches dich rundum begeistern konnte. Auch kann ich anhand der Zitate sehr gut verstehen,warum dir Per sympatisch ist. :o)

    Eine sehr schöne Buchvorstellung :o)

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

    • glimrende
      Autor
      21. Mai 2018 / 20:54

      Danke 🙂 Irgendwie hatte ich mal wieder Lust auf eine Biografie. Und durch eingangs erwähntes Interview hat mich das Buch besonders gereizt.

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