„Weil Gott nicht alles allein machen konnte, erschuf er die Mutter“, sagte er. [Ein Satz, der mich stark an meine eigene Mutter erinnert hat…]
Diese Buchvorstellung liegt mir besonders am Herzen. Insbesondere nach dem vergangenen Wahlsonntag. Denn dieses Buch veranschaulicht auf eindrückliche Weise, was passiert, wenn nicht jeder einzelne für die Demokratie kämpft. Wie schnell es gehen kann, dass ein ganzes Land in die Diktatur abrutscht.
„Töchter einer neuen Zeit“
- Carmen Korn
- Roman
- Deutsch
- 5 Sterne (von 5 möglichen Sternen)
- Empfehlung: für alle, die historisch interessiert sind. Noch mehr müsste man es eigentlich denjenigen empfehlen, die historisch NICHT interessiert sind und die Demokratie für verzichtbar oder selbstverständlich halten.
Das erste Kapitel von „Töchter einer neuen Zeit“ beginnt im März 1919 in einem nach dem ersten Weltkrieg zerrissenen Deutschland. Die einen sehnen den Kaiser zurück und spinnen die „Dolchstoßlegende“ (im übrigen ein Wort, das sich bei mir durch den Geschichtsunterricht eingeprägt hat), andere sehen eine kommunistische Zukunft nach sowjetischem Vorbild für Deutschland und ein paar wenige wollen der Demokratie eine Chance geben. Vor dieser explosiven historischen Kulisse beginnen Henny und Käthe mit ihrer Ausbildung zur Hebamme in der berühmten Hamburger Geburtsklinik „Finkenau“, was für beide gleichbedeutend mit einer Abnabelung von der Familie und einer Emanzipation von potentiellen Ehemännern ist. Rundum die Familien und Freunde der beiden entspinnt sich eine spannende Geschichte, die sich bis in den Nachkriegswinter von 1948 zieht.
Das ganze ist nicht wie ein typischer Roman sondern eher wie eine Aneinanderreihung von kurzen Episoden, in denen abwechselnd verschiedene Personen im Mittelpunkt stehen (die Hebammen und Ärzte von Finkenau, Käthes proletarische Eltern und ihr kommunistischer Freund, Hennys standesbewusste Mutter, eine reichte Hamburger Kaufmannstochter, die nichts mit ihrem Leben anzufangen weiß, ein lesbisches Pärchen u.v.m.), aufgebaut.
Genau auf diesen besonderen Aufbau muss man sich einlassen. Ich war am Anfang auch überrascht, dass die einzelnen Kapitel sich nicht ausführlicher mit einem zeitlichen Abschnitt beschäftigen. Ich hätte nie gedacht, dass das Buch einen so langen Zeitraum von fast 30 Jahren abdeckt und sich so rasant fortentwickelt. Daran habe ich mich zum Glück schnell gewöhnt und das Buch hat sich zum Lesevergnügen entwickelt.
Es sind verschiedene Dinge, die mich an „Töchter einer neuen Zeit“ fasziniert haben. Da wäre zum einen die Tatsache, dass mir mal wieder vor Augen geführt wurde, wie viele Möglichkeiten man heutzutage als Frau hat und wie hart erkämpft dieses Privileg ist. Henny und Käthe führten für damalige Verhältnisse mit einer abgeschlossenen Ausbildung ein relativ selbstbestimmtes Leben, das einem nach heutigem Maßstab trotzdem eingeengt vorkommt. Kleine Anmerkung am Rande: durch dieses Buch habe ich davon erfahren, dass Lehrerinnen zölibatär leben mussten.
Trotzdem muss ich zugeben, dass nicht die Frauenfiguren in diesem Buch meine Favoriten waren sondern die beiden (männlichen) Ärzte, mit denen Henny und Käthe in der Finkenau zusammenarbeiten. Die fand ich einfach großartig. Integer, gradlinig und humorvoll. (Da kann Dr. Brinkmann aus der „Schwarzwaldklinik“ einpacken…).
Zum anderen hat mich dieser Roman daran erinnert, wie grandios Deutschland am ersten Versuch, eine Demokratie aufzubauen, gescheitert ist. Und wie wichtig es ist, dass wir tagtäglich für diese Demokratie kämpfen und keine schleichende Abkehr von ihr zulassen („Das geht alles vorüber…“ „So lange werden die sich schon nicht halten…“).
Mich macht nichts so wütend und traurig, wie wenn die Menschheit mal wieder zeigt, dass sie nichts aus der Geschichte lernt und spätestens nach drei Generationen genau dieselben Fehler erneut gemacht werden. Oder hätte einer gedacht, dass wir uns nach den 80ern plötzlich wieder einer atomaren Bedrohung stellen müssen? Ganz davon abgesehen, dass mancher Duktus, der letztes Wochenende ins deutsche Parlament eingezogen ist, erschreckend an die Jahre ab 1933 erinnert. So etwas nimmt mich emotional total mit und auch bei Lektüre von „Töchter einer neuen Zeit“ musste ich ab und zu mit den Tränen kämpfen.
Trotz der ernsten Themen, die angesprochen werden, wurde das Buch von Carmen Korn so spannend und mitreißend geschrieben, dass es einem zu keiner Sekunde wie „schwere Kost“ vorkommt. Deshalb denke ich, dass dieses Buch auch für Leute geeignet ist, die noch nie eine Geschichte mit politischem Hintergrund gelesen haben.
Lest dieses Buch und führt Euch vor Augen, wie gut es uns heute geht, und wie sehr es sich lohnt, dafür zu kämpfen, dass das auch so bleibt!
1 Kommentar