|Leseliebe| „Ich will lieber schweigen“ von Will u. Roswitha Quadflieg

Auf „Ich will lieber schweigen“ bin ich aufmerksam geworden, weil ich als Kind sehr gerne „Der Landarzt“ – wie jegliche ARD- und ZDF-Arztserie – geschaut habe und deshalb den Schauspieler Christian Quadflieg kenne. Dank meiner Mutter weiß ich auch über dessen legendäre „Tatort“-Rolle in der Folge „Die Reifeprüfung“ Bescheid. Genauso hat sie mich einst informiert, dass sein Vater Will Quadflieg ebenfalls Schauspieler war.  Deshalb war ich sehr gespannt, was Christian Quadfliegs Schwester über diesen Vater und seine Rolle im Dritten Reich in „Ich will lieber schweigen“ zu berichten hat. Der Titel lässt eventuell eine gewisse Tendenz erahnen…

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Ich will lieber schweigen_Will und Roswitha Quadflieg_Rezension

 

Tagebuch eines Vaters

„Ich will lieber schweigen“ ist ein typisches Corona-Projekt. In dieser entschleunigten Phase hat sich Roswitha Quadflieg die Zeit genommen, um endlich die Unterlagen in einer Kiste aus dem Nachlass ihres verstorbenen Vaters durchzusehen. Hierbei stößt sie neben diversen Briefen auf ein kleines Tagebuch, das Will Quadflieg kurz vor Kriegsende 1945 zu führen begonnen hat. Anhand dieser Aufzeichnungen rekonstruiert Roswitha Quadflieg 104 Tage im Leben ihres Vaters und gewinnt einen tiefen Einblick in dessen Seelenleben und besonders den Umgang mit seiner eigenen Rolle im Dritten Reich.

Beides ist leider wenig rühmlich. Bestenfalls könnte man ihn als Mitläufer bezeichnen. Mit etwas weniger Wohlwollen angesichts seines Mitwirkens in Propagandafilmen sogar als Täter einordnen. Roswitha Quadflieg setzt sich äußerst kritisch mit dem Handeln und den Gedanken ihres Vaters auseinander und stellt ihm posthum kritische Fragen. Wie kann es sein, dass er von nichts gewusst haben wollte? Obwohl zahlreiche ehemalige Schauspielkollegen während der NS-Zeit „verschwunden“ sind. Warum suhlt er sich nach Kriegsende in der Opferrolle und zeigt keinerlei Einsicht? Will Quadflieg steht hier repräsentativ für die Mehrheit der Deutschen, die nach Kriegsende keine Selbstreflexion an den Tag gelegt haben und einfach nur irgendwie weitermachen wollten. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist erst sehr viel später erfolgt.

 

„Fuckboy“ mit „Red Flag“-Tendenzen

Ich stelle mir die Konfrontation von Roswitha Quadflieg mit der Gedankenwelt ihres Vaters sehr schmerzhaft vor. Denn der bekleckert sich nicht nur durch seine opportunistische Haltung im Dritten Reich nicht mit Ruhm, auch sein Privatleben ist mehr als fragwürdig. Einerseits verzehrt er sich in den Briefen an seine mit den Kindern nach Schweden geflüchtete Ehefrau nach dieser, andererseits leistet er sich in dieser Zeit diverse Affären, aus denen als Krönung ein uneheliches Kind hervorgeht. In der heutigen Zeit würde man Will Quadflieg als klassischen „Fuckboy“ bezeichnen, der sein gutes Aussehen schamlos ausnutzt. Was für eine „Red Flag“, die im Jahr 2025 wahrscheinlich eher auf „Temptation Island“ sitzen, denn mit Goethe auf einer Bühne stehen würde.

 

Fazit

Für mich war „Ich will lieber schweigen“ ein sehr spannender und ganz neuer Ansatz, um auf das Kriegsende und die Zeit danach zu blicken. Die Kombination aus historischen Zeitdokumenten sowie den Gedanken von Roswitha Quadflieg beim Lesen und Recherchieren im hier und heute haben dem ganzen eine großartige Tiefe gegeben. Gerade jetzt, wo die letzten Zeitzeugen unweigerlich aussterben und sich die politische Weltlage immer mehr zuspitzt, brauchen wir dringend mehr solcher Bücher. Deshalb eine klare Leseempfehlung meinerseits. Tolles Buch!

 

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