|Sportsgeist| Stefka … schaut Sport – Teil 2

Zu Teil 1 geht es hier entlang.

Ende der 1990er Jahre und Anfang der 2000er ging der Skisprung-Hype in Deutschland auch an mir nicht spurlos vorbei, wobei ich betonen möchte, dass ich diese Sportart schon viel länger geschaut habe. Der erste Skispringer, an den ich mein Herz verloren habe, war Toni Nieminen in der Saison 1991/92. Leider konnte er nie wieder an seine Erfolge aus dieser Saison anschließen. Zum Glück stand das nächste finnische Wunderkind mit Janne Ahonen schon in den Startlöchern. Dieser sollte eine bedeutend langlebigere Karriere haben und entsprach genau meinem Hang zu schweigsamen Athleten (wie in Teil 1 beschrieben).

Den Hype um Schmitt und Hannwald habe ich eher amüsiert und distanziert verfolgt. Ich habe mich z.B. immer gefreut, sagen zu können, dass ich mich an Martin Schmitt mit langen Haaren erinnere. Das konnten die meisten Hardcore-Kreischis nicht für sich verbuchen. Insgesamt war es eine verrückte Zeit. Trotz aller Schwächen von RTL als Sportberichterstatter werde ich Jauch und Thoma bei der Skiflug-WM 2000 in Vikersund nie vergessen. Wegen des Windes gab es ewige Verschiebungen und aus Verzweiflung haben die beiden am Valentinstag ein Valentinsfrühstück an der Schanze zelebriert (inklusive Intonation der damaligen RTL Morning Show Melodie „Mein Morgen, mein Morgen“). Oder die Übergabe der Wurstplatte an Andreas Goldberger („Jetzt fehlt nur noch ein Schnapserl!“). Genau wie die DSDS-Kandidaten der ersten Stunde im Schanzenauslauf von Garmisch – inklusive Klavier. Das sind Sportmomente für die Ewigkeit.

Sölden in 2009 – wundeschönes Bergpanorama | Christof Innerhofer

Nachdem meine Liebe zum Eiskunstlaufen ab ca. 2007 abgeflaut ist, musste ich diese Lücke durch eine andere Sportart füllen. Es war keine bewusste Entscheidung, aber Ski alpin hat die Position des Eiskunstlaufens übernommen. Forciert wurde dies durch die Entscheidung, zur Ski-WM 2011 in Garmisch-Partenkirchen zu fahren und quasi als Vorbereitung darauf den Weltcup 2009 und das Weltcup-Finale 2010 an gleicher Stelle zu besuchen.

Außerdem ist da der Norweger Aksel Lund Svindal…

Sölden 2009 | Aksel Lund Svindal | Kjetil Jansrud

Bei mir scheint es in allen Sportarten eine bestimmte Nation zu geben, deren Athleten ich bevorzuge. Im Eiskunstlaufen sind es die russischen (vormals sowjetischen) Läufer, im Skispringen die Finnen und im Ski alpin die Norweger. Begonnen hat diese „Liebesgeschichte“ in den 90er Jahren mit den beiden Superelchen Kjetil-Andre Aamodt und Lasse Kjus. Wieder schlug meine Vorliebe für schweigsame Athleten zu. An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ich dieses Jahr super glücklich war, als es mir nach einigen gescheiterten Versuchen endlich gelungen ist, die norwegische Biografie über die beiden zu kaufen. Eines meiner Lesehighlights 2015.

Zurück zu Aksel. Ich kann mich daran erinnern, ihn bereits 2005 im Weltcup fahren gesehen zu haben. Damals noch etwas außerhalb meines Radars, da ich mich auf Kjetil-Andre Aamodt konzentriert habe. Dann kam die Saison 2006/2007 und mit ihr Aksels erste beiden WM-Goldmedaillen in der Abfahrt und im Riesentorlauf und sein unglaubliches Finish im Weltcup. Er hat es geschafft, beim Weltcupfinale in Lenzerheide die Abfahrt, den Super G und den Riesentorlauf zu gewinnen und so sich in letzter Sekunde den Gesamtsieg im Weltcup zu sichern. Ab diesem Moment war Aksel auch zu meinem persönlichen Favoriten aufgestiegen.

Norwegische Fans in Sölden 2009 | Papa Svindal (mit Bruder Svindal), der einzige, der noch aufgeregter ist als ich, wenn Aksel fährt

Die Saison 2007/2008 begann mit der totalen Dominanz von Aksel beim Saison Opening in Sölden. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich vor dem Fernseher saß und dachte: ‚Das läuft zu perfekt. Er ist zu gut. Das kann so nicht weitergehen…‘ Mein schlechtes Gefühl sollte mich nicht trügen. Aksel legte wenige Wochen später im Training in Beaver Creek/USA einen Horrorsturz beim Golden Eagle Jump hin und fiel die gesamte restliche Saison aus. Im Grunde musste man bei diesem Sturz froh sein, dass er ihn überlebt hat.

Weltmeisterschaften 2011 in Garmisch-Partenkirchen | Kombination | Kjetil Jansrud | Aksel Lund Svindal

Was folgte, war seine erste große Meisterleistung als „Combeback Kid“. Beim Saison Opening in Sölden 2008/2009 stand er wieder am Start und wurde von den Zuschauern im Ziel mit einer Standing Ovation gefeiert. Leider wurde das Rennen im deutschen Fernsehen nicht übertragen. Das werde ich ARD/ZDF und Eurosport nie verzeihen. Wenige Wochen nach Sölden folgte wieder Beaver Creek und somit die Rückkehr an den Ort des Unfalls. Ich kenne außer Aksel keinen Athleten, der an einen solchen Ort zurückkommt und sich nicht von negativen Gefühlen überwältigen lässt. Für ihn gehörte die Raubvogelpiste trotzdem weiterhin zu seinen liebsten im Weltcup. Er stellte sich der Herausforderung – und gewann ein Jahr nach dem schlimmen Sturz die Abfahrt. Das hätte kein Drehbuchautor aus Hollywood besser erfinden können. Der Rest der Saison verlief solide und am Ende konnte sich Aksel mit dem geringsten Vorsprung aller Zeiten zum zweiten Mal den Gesamtweltcup gegen Benjamin Raich sichern. Zusätzlich gewann Aksel bei der WM des Jahres 2009 in Val d’Isère Gold in der Super-Kombi.

Aksel Lund Svindal ist Weltmeister in der Kombination 2011! | Und Christof Innerhofer macht den Diver bei der Siegerehrung…

2009/2010 wurde durch die Olympischen Spiele in Vancoucer geprägt. Dort gewann Aksel seine ersten drei Olympischen Medaillen, die gleich bedeutend mit einem kompletten Medaillensatz waren: Gold im Super G (DER norwegischen Disziplin bei Olympia), Silber in der Abfahrt (da verzweifeln die Norweger an der Goldmedaille) und Bronze im Riesentorlauf. Während ich an die Abfahrt und den Super G keine großen Erinnerungen habe (außer dass ich genervt war, weil die Siegerehrungen nicht im deutschen Fernsehen kamen), werde ich den Riesentorlauf nicht vergessen. Aksel und sein Mannschaftskollege Kjetil Jansrud lagen nach dem ersten Durchgang zurück, aber insbesondere Kjetil, der in dieser Saison in die Weltspitze vorgestoßen war, legte einen genialen zweiten Durchgang hin und machte Platz um Platz gut. Die beiden standen irgendwann gemeinsam im Zielbereich und schauten zu, wie sie sich direkt hintereinanderliegend Platz um Platz nach vorne schoben. Aksel hat hierbei immer wieder Kjetils Kopf getätschelt. Einer der schönsten Momente von Freundschaft im Spitzensport EVER. Am Ende gewann der Schweizer Carlo Janka Gold und Kjetil und Aksel Silber und Bronze.

Aksel auf dem Podium bei der WM 2011 | Kjetil Jansrud im Riesentorlauf bei der WM 2011

2010/2011 hatte als Highlight die WM in Garmisch-Partenkirchen, bei der ich in der zweiten Woche live dabei sein sollte. Die erste Woche verlief für Aksel (und somit auch für mich…) wenig zufriedenstellend. Bei der Abfahrt schaffte es Aksel im Ziel zu stürzen und unter die Absperrung zu rutschen. Es waren helfende Hände notwendig, um ihn aus dem Zielraum zu geleiten. Der Super G führte dazu, dass ich mich mit einer Freundin in die Haare bekam, da sie meinte, ich hätte mich ruhig ein bisschen mehr mit dem Goldmedaillengewinner Christoph Innerhofer freuen können. Aber an der Stelle muss ich zugeben, dass ich, wenn es um meine absolut liebsten Sportler geht, weder Freund noch Feind kenne. Wenn mein Favorit nicht so abschneidet, wie ich mir das vorstelle, dann kann ich mich alternativ nicht mit jemand anderem freuen, den ich ‚ganz ok finde‘. Hier möchte ich erwähnen, dass man so etwas einem männlichen Nicht-Sportfan nur ganz schwer erklären kann („Was, über so etwas könnt ihr diskutieren???“). Ja, ich gebe es zu, wenn ich mein Herz an einen Sportler verliere, dann gibt es für mich nur ganz oder gar nicht. Um es mit einem Beispiel zu erläutern: wenn ich fanatischer Anhänger eines Bundesligavereins wäre und dieser würde absteigen, dann würde ich zu denen gehören, die am letzten Spieltag Rotz und Wasser heulend auf der Tribüne in der „Sportschau“ gezeigt werden.

Die Saison 2011/12 verlief unspektakulär, da kein Großereignis auf dem Plan stand und Aksel nach seinem Wechsel zu Head  in 2010 noch immer an der Feinabstimmung seiner Ski gefeilt hat.

Christof Innerhofer winkt ins Publikum in Garmisch 2012 | Aksel nach seinem Lauf. Wie immer, wenn ich in Garmisch beim Weltcup vor Ort war, wenig erfolgreich…

In 2012/2013 stand die WM in Schladming auf dem Plan. An dem Samstag, als die Abfahrt stattfand, war ich bei meinen Eltern daheim. Ich weiß noch genau, wie ich in meinem Zimmer am Boden gekauert bin und mit Aksel gefiebert habe. Wie immer, habe ich während seiner Fahrt nicht hingeschaut (kann ich nicht, ich weiß, außer mir macht das wahrscheinlich nur sein Vater). Einer meiner schönsten Fanmomente, als Aksel am Ende mit der besten Zeit im Ziel angekommen ist.

Kjetil im Ziel in Garmisch 2012 | Aksel bei der Startnummernauslosung

Die Olympischen Spiele 2014 in Sochi haben Aksel leider kein Glück gebracht. Er fuhr ohne Medaille nach Hause. Zum Glück konnte Kjetil für ihn einspringen und mit Gold im Super G die norwegische Tradition fortsetzen. Der Morgen der Abfahrt war ganz furchtbar, ich weiß noch genau, ich hatte bei Freunden übernachtet und bin nach dem desaströsen Ergebnis von Akel mit einem ganz schlechten Gefühl im Magen zu meinen Eltern heim gefahren. Und dabei hatte ich mir für diese Olympischen Spiele nur zwei Dinge gewünscht: eine Goldmedaille für Aksel und ebenfalls Gold für Volosozhar & Trankov im Paarlaufen. Zumindest letzter Wunsch wurde mir erfüllt.

Aksel auf dem Catwalk beim Weltcup in Garmisch 2013 | Mit der Startnummer (mein Geburtsdatum) ist es beim Aksel noch nie nix geworden…

Auf die Saison 2014/2015 habe ich mich besonders gefreut, da die WM an Aksels Lieblingsort in Vail/Beaver Creek stattfinden sollte. Dann kam das Sölden-Wochenende. Ich war samstags mit Freunden beim Shopping. „Stefka, wir müssen Dir was sagen…“ (Zuerst hat wohl eine interne Debatte stattgefunden, ob man mir es überhaupt mitteilen sollte). Achillessehnenriss bei Aksel. Saison-Aus. Den Moment werde ich nie vergessen. Genauso wenig den Pullover, den ich im Anschluss gekauft habe. Oder die Minuten bei Starbucks, als ich alleine da saß und alles richtig realisiert habe. Zum Glück kam Aksel in bekannter Stehaufmännchen-Manier zurück. Er gab bei der WM in Vail ein Mini-Comeback und hat sowohl im Super G als auch in der Abfahrt den 6. Platz belegt. Noch märchenhafter wäre nur der Gewinn einer Medaille gewesen.

Ich glaube, Aksel fand die tolle Gondel bei der Siegerehrung/Startnummernauslosung 2013 genauso amüsant wie wir… | Aksel und Hannes Reichelt auf dem Podium

Ende 2015 gab Aksel sein richtiges Comeback nach dem Achillessehnenriss. Und was für ein Comeback es war… Er gewann die Abfahrt und den Super G in Lake Louise (= Lake Svindal), die Abfahrt in Beaver Creek und nach einem krankheitsbedingten Ausrutscher beim Super G ebenfalls in Beaver Creek auch den Klassiker von Gröden sowie den zugehörigen Super G (norwegischer Dreifachsieg – bester Event EVER). Bei der Abfahrt in Santa Caterina hat man ihm angemerkt, dass er diese im Gegensatz zu den anderen noch nie gefahren war, aber in Wengen fand er zu alter Stärke zurück und erfüllte einen meiner größten Wünsche für ihn: endlich diesen Klassiker zu gewinnen. Einer der allerschönsten Momente für mich war jedoch der Parallel-Riesensalom von Alta Badia (zugegebenermaßen von mir im Vorfeld als „Blödelevent“ verunglimpft). Bei solchen Wettbewerben ist man als Speedfahrer normalerweise chanchenlos, ich hatte also keinerlei Erwartungen. Aber Aksel und Kjetil kämpften sich Runde um Runde weiter und standen schließlich gemeinsam im Finale. Das war ein genialer, vorweihnachtlicher Abend. Die Nachbarn wundern sich wahrscheinlich heute noch, dass in unserer Wohnung ständig jemand laut gejubelt hat. („Ja, ist denn heute schon Fußball-WM?!“).

Kjetil zieht sich um in Garmisch 2015 | Unterhaltung zwischen Kjetil und Matthias Mayer im Ziel

Als nächstes stand Kitzbühel auf dem Plan. Der Super G verlief märchenhaft und Aksel gewann. Beim abendlichen Slalom, der gemeinsam mit diesem Super G zur Super-Kombi-Wertung zählen sollte, schied Aksel aus und verletzte sich leicht. Trotzdem war er am nächsten Tag bei der Abfahrt am Start. Mir war vor Aufregung schlecht. Wie eigentlich immer, wenn Aksel fährt. Aber an dem Tag haben mich auch die Kommentatoren von Eurosport ganz wahnsinnig gemacht, denn sie haben die totale Hektik verbreitet. Das Rennen war von hinten bis vorne verkorkst, mit vielen Stürzen und schweren Verletzungen, die immer wieder zu Unterbrechungen geführt haben. Mit der Folge, dass die Lichtverhältnisse beim bereits später als ursprünglich geplant gestarteten Rennen zusehends schlechter wurden. Ich werde nie verstehen, warum man die Abfahrt nicht mit dem Super G des Vortages getauscht hat, denn es war bereits seit Beginn der Woche bekannt, dass das Wetter am Freitag super und am Samstag eher schlecht sein würde. Aber wahrscheinlich kann man den ganzen Promis, die in Kitz dabei sind, nicht zumuten, dass sie am Freitag statt am Samstag ins Skistadion kommen… Als Aksel am Start stand, hielt ich wie immer die Augen geschlossen. Später habe ich kurz zum Fernseher hingespinxt, um zu kontrollieren, ob er noch im Rennen ist – und WUSCH! ist er an der Hausbergkante abgeflogen. Es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube, und ich dachte, er müsse mindestens so schwer verletzt sein, wie damals in Beaver Creek. Mir kamen die Tränen. Als er wieder aufgestanden ist und ins Publikum gewinkt hat, war ich unendlich erleichtert und dachte, er habe ein Wunderding vollbracht wie damals Hermann Maier in Nagano 1998. Abends war ich Essen und hatte kein Handy dabei. Als ich zurück in meiner Wohnung war und auf mein Handy geschaut habe, dachte ich, mir bleibt das Herz stehen. Breaking News bei der Aftenposten App: Kreuzbandriss bei Aksel! Zum Glück war ich nicht allein, Besuch lenkt in so einem Moment ab. Trotzdem einer der dunkelsten Momente in meiner Karriere als Sportfan.

Kjetil in Garmisch 2015 im Interview

Jedoch muss ich auch zugeben, dass ich ein kleines bisschen erleichtert war. Endlich nicht mehr jedes Wochenende die Angst, dass Aksel den Gesamtweltcup versauen könnte.

Und sonst? Zum Glück gibt es weitere Mitglieder von Team Norge, denen man die Daumen drücken kann. Außerdem wird sich Anfang März ein Traum für mich erfüllen, den ich seit den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer habe: einen Sport-Event in Norwegen besuchen. Ich werde bei der Biathlon WM in Oslo dabei sein. Für 2017 planen K. und ich (vorsichtig) bei der Eiskunstlauf WM in Helsinki dabei zu sein. Okay, wir können uns wenig langweiligeres und vom Ergebnis her unbefriedigerendes als das Eistanzen vorstellen, aber es ist halt HELSINKI…

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