Als ich gesehen habe, dass die 2019 Artistic Gymnastics Worlds nach Stuttgart vergeben worden sind, stand für mich fest: da muss ich hin. Es gibt wenige Dinge, die ich in meinem Leben bereue, aber dass ich mich nicht früher um Karten für die Fußball-WM 2006 in Deutschland bemüht habe oder nicht als Zuschauer bei der Nordischen Ski-WM 2005 in Oberstdorf gewesen bin, gehört dazu.
Mit einiger Anstrengung ist es uns gelungen, Tickets für die Gerätefinals am Sonntag an Land zu ziehen. An der Stelle gebührt aller Dank K., die unschlagbar darin ist, auch in durch zu viel Traffic lahmgelegten Online-Shops Tickets zu kaufen. Wenn’s läuft, dann läuft’s, denn kurz vor den 2019 Artistic Gymnastics Worlds hat sie auch noch Karten für das donnerstägliche Einzel-Mehrkampffinale der Damen gewonnen. (Danke, dass ich mitdurfte, BTW).

Sarah Voss mit Heimvorteil (aber auch extra viel Druck) am Schwebebalken.

Eine schöne Abwechslung am Boden: Brooklyn Moors (Kanada) mit ihrem eher ruhigen und gefühlvollen Programm.
Wie ich zum Kunstturnen gekommen bin
So richtig zum Fan der Sportart geworden bin ich während der Kunstturn-WM 1991. Damals fand ich den Mehrkampftitel von Kim Zmeskal ausgesprochen faszinierend. Wahrscheinlich, weil sie die einzige war, die mir altersmäßig auch nur annähernd entsprochen hat. Im Nachhinein finde ich Swetlana Boginskaya allerdings bei weitem eleganter und ansprechender.

Den ukrainischen Stil mag ich noch immer: Diana Varinska war eine meiner Favoritinnen am Boden.

Nochmal Sarah Voss, dieses Mal am Boden
Meine richtige „Hochzeit“ als Fan der Sportart folgte so 1992 bis 1996, denn ich war begeisterter Anhänger von Tatjana Gutsu und vor allem Lilia Podkopayeva, die noch heute meine liebste Kunstturnerin aller Zeiten ist. Auch bis kurz nach der Jahrtausendwende habe ich viel Kunstturnen geschaut. Danach wurde ich eher zum „casual fan“.

Da ich der Sportseite des Schweizer Fernsehens bei Instagram folge (aus skifahrerischen Gründen), war ich bestens darüber informiert, dass Giulia Steingruber eine längere Verletzungspause hinter sich hat. Umso mehr habe ich mich über ihr starkes Comeback im Mehrkampf gefreut. Ich bin übrigens immer wieder erstaunt, wie die Schweiz es schafft, einzelne Sportler in allen möglichen Sportarten in die Spitze zu bringen.

Ich habe mich riesig für Elisabeth Seitz gefreut. Dass sie bei ihrer Heim-WM eine solch grandiose Leistung hinlegen konnte.
Wen ich heute mag
In den letzten Jahren habe ich mich nicht allzu intensiv mit Kunstturnen beschäftigt, so dass ich mich bei dieser WM ein bisschen überraschen lassen musste. Eins wurde jedoch wieder deutlich: ich werde wohl für immer ein Fan der „russischen Schule“ bleiben. Natürlich kann ich mich der Explosivität einer Simone Biles nicht verschließen und fand es überragend, so eine lebende Legende live zu sehen. Trotzdem schlägt mein Herz für die russische Eleganz und Melancholie und Angelina Melnikova war vom Stil her mein Liebling bei dieser WM. Sehr gut gefallen hat mir auch die große und nicht minder elegante Kim Derwael aus Belgien.

Simone Biles – eine lebende Legende auf dem Balken.

Die große und sehr elegante Kim Derwael aus Belgien.
Wie war es, eine lebende Legende zu sehen?
Großartig! Ich bin wirklich stolz darauf, Simone Biles live gesehen zu haben. Es ist schon sehr, sehr faszinierend, was sie so alles auf die Fläche zaubert. (Wir waren also nicht enttäuscht wie damals, als wir eine Landsfrau von ihr beim Eiskunstlaufen zum ersten und einzigen Mal live gesehen haben. „Irgendwie ist die ziemlich langsam…“).

Simone Biles, die Ausnahmeerscheinung.

Meine persönliche Favoritin: Angelina Melnikova aus Russland.
Mir kamen aber auch ein paar eher „melancholische“ Gedanken, als ich sie hier in Stuttgart gesehen habe. Würde sie etwas ihres Talents gerne gegen eine stabile Familie eintauschen? Was bringen all die Medaillen, wenn Dein Bruder ein mehrfacher Mörder ist/sein soll? Ein Leben in Extremen, das Simone Biles führt.

Am Boden eine sehr mitreißende Übung von Elisabeth Seitz.

Sehr jung und winzig aber auch goldig: Li Shijia

Nicht minder winzig, jung und goldig: Tang Xijing
Wie taugt Kunstturnen als Live-Sportart?
In den ersten Momenten, in denen wir in der Halle saßen, hatte ich ein bisschen Angst, dass mich die parallele Action an mehreren Geräten während des Mehrkampfs überfordern könnte. Tatsächlich hat das ganze mit Hilfe der Hallensprecher und Anzeigetafeln ziemlich gut funktioniert. Auch haben wir sowohl von unseren Plätzen am Donnerstag als auch Sonntag (obwohl an den entgegengesetzten Enden der Halle belegen) gut gesehen. Ich würde Kunstturnen in meiner Hitliste der Sportarten, die sich lohnen, live angeschaut zu werden, relativ weit nach vorne setzen. Und zwar meilenweit z.B. vor Ski alpin oder dem Skispringen.

Angelina Melnikova sichert sich mit einer tollen Übung am Boden die Bronzemedaille.

Simone Biles mit einer Hammerübung am Boden.
Wie war der Spannungsbogen im Mehrkampffinale der Damen?
Einerseits war es atemberaubend, die Leistung von Simone Biles zu sehen. Andererseits kam keine wirkliche Spannung auf, denn zu eindeutig war ihre Überlegenheit.

Noch mehr Simone…

Das Rahmenprogramm
Special thanks…
… an die VVS (Stuttgarter Verkehrsverbund), die es trotz des parallel stattfindenden Volksfests auf dem Canstatter Wasen (direkt neben der WM-Halle) geschafft hat, einen reibungslosen Transport von und zur Halle zu gewährleisten. Es wird sich so viel über die Bahn und den ÖPNV beschwert, dass man an der Stelle echt einmal ein Lob aussprechen muss.

Ernste Töne. Ich fand es gut, dass die Athletensprecher (hier: Kim Bui) den Opfern von Halle gedacht haben.

Ladies and gentlemen: here are your winners!
Das war eine richtig tolle Sportveranstaltung! Stay tuned für meine Bilder von den Gerätefinals bei den Artistic Gymnastics Worlds am Sonntag…

Da soll noch einmal einer sagen, die Digitalisierung in Deutschland hinkt hinterher. Hier gab es sogar digitale Flaggen! Allerdings muss ich sagen, dass ich die aus Stoff, die per Hand nach oben gekurbelt werden, aus Oberstdorf charmanter finde…