Heute möchte ich mit „Liebe in Zeiten des Hasses“ von Florian Illies ein ganz wundervolles und außergewöhnliches Werk, das ich als Hörbuch gehört habe, vorstellen. Mich hat das Buch tiefbewegt. Trotzdem muss ich gestehen, dass es vom Aufbau und der zeitgeschichtlichen Thematik her vielleicht nicht jedermanns Sache ist.
Werbung: das Rezensionsexemplar wurde mir von netgalley kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt.
Wilde Zeiten
Florian Illies dürfte den meisten Menschen meines Alters als Autor von „Generation Golf“ bekannt sein. Mittlerweile hat er dieses eher seichte Themengebiet „Lifestyle“ verlassen und beschäftigt sich in seinen Büchern mit historischen Phänomenen.
In „Liebe in Zeiten des Hasses“ reiht er Tagebucheinträge und Briefwechsel von historisch bedeutenden Persönlichkeiten aus Kunst, Religion und Politik aus den Jahren 1929 bis 1939 aneinander. Alles unter der Überschrift „Irrungen und Wirrungen in Liebesdingen“. So entsteht das zeitgeschichtliche Porträt einer wilden Epoche. Erst das Ende der goldenen 1920er, die vor allem in Berlin exzessiv ausgelebt wurden, und anschließend der Übergang in eine bedrückend dunkle Ära.
Berühmte Zeitzeugen
Es kommt eine Vielzahl an berühmten Persönlichkeiten zu Wort. Dabei begegneten mir Menschen, wie die Familie von Thomas Mann, von denen ich schon sehr viel gelesen habe (was ich im übrigen nur jedem empfehlen kann, denn diese berühmteste deutsche Familie ihrer Zeit bietet mehr Stoff für Drama als jede Seifenoper), wie auch Personen, von deren Leben zumindest zu dieser Zeit ich bislang wenig wusste. Hier sei Konrad Adenauer als Beispiel genannt. Dessen Kanzlerschaft ist mir durchaus in allen möglichen Facetten bekannt. Auch dass er einst Bürgermeister von Köln war, wusste ich. Dass er jedoch von den Nazis verfolgt wurde, war mir neu. Ähnlich erging es mir mit Dietrich Bonhoeffer, dessen „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ zu meinen liebsten Kirchenliedern gehört. Dass der einst auch ein Verhältnis mit einem Mann hatte, überraschte mich zu hören.
Bewegende Geschichten
Den Glauben an die große Liebe vertieft „Liebe in Zeiten des Hasses“ nur bedingt. Betrügen sich gefühlt 90% der zu Wort kommenden Berühmtheiten doch gegenseitig. Trotzdem hat dieses Buch eine wahnsinnige Kraft und Tiefe, die mich bewegt hat. Ich saß ab und zu da und hatte Tränen in den Augen. Und den tiefen Wunsch in mir, dass wir etwas Vergleichbares wie die Jahre ab 1933 nie wieder erleben müssen.
Es war erschreckend zu hören, wie nach Hitlers Machtergreifung ein regelrechter Exodus der Kulturszene aus Deutschland stattfand, weil viele großen Künstler der Zeit einen jüdischen Background hatten oder aus anderen Gründen bei den neuen Machthabern in Ungnade gefallen waren. Mir blieb jedesmal fast das Herz stehen, wenn ich gehört habe, dass diese glücklich einen Neustart in Paris versuchen wollten. Ich hätte ihnen am liebsten zugerufen: Ihr müsst weiter rennen! Paris ist viel zu nah.
Hörbuch mit Kontentrationsanspruch
Mir hat „Liebe in Zeiten des Hasses“ in seiner Aufbereitung als Hörbuch sehr gut gefallen. Jedoch muss ich auch die Warnung aussprechen, dass es kein Hörbuch ist, dass man nebenher einfach so weg hört. Denn es ist Konzentration von Nöten, um jeden Wechsel von einen Prominenten zum nächsten mitzubekommen. Sonst kann es sein, dass man plötzlich nicht mehr mitkommt, von wem jetzt eigentlich die Rede ist.
Fazit
Eins der besten Hörbücher, das ich in 2021 gehört habe. Die Mischung aus Lerneffekt, Melancholie und humorvollen Momenten war in meinen Augen perfekt. Ganz großes Kino von Florian Illies.