Ich bin bekennender Fan von Romanen aus der jüngeren deutschen Vergangenheit. Denn ich mag es sehr, in das Zeitgefühl der jungen Bundesrepublik einzutauchen. Oder in jedes andere Jahrzehnt vor meiner Geburt. Deshalb hat mich „Freiflug“ von Christine Drews auch direkt angesprochen. Denn in diesem Buch spielt die Geschichte des Feminismus und der Emanzipation in den 70er Jahren in der BRD die Hauptrolle. Davon möchte ich Euch in dieser Rezension erzählen.
Werbung: das Rezensionsexemplar wurde mir von netgalley kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt.
Zwei starke Frauen
Deutschland in den 70er Jahren. Das Leben der meisten Frauen ist noch immer durch die drei großen K (Kinder, Küche, Kirche) geprägt. Es ist absolut unüblich für Frauen, nach der Heirat die Berufstätigkeit aufrechtzuerhalten. Noch abwegiger ist es, NICHT zu heiraten. Deswegen ist der Weg von Katharina Berner zur selbstbestimmten Anwältin auch ein harter und steiniger. Von ihrer reichen Unternehmerfamilie wird sie belächelt oder offen angefeindet. Die ausschließlich männlichen Anwaltskollegen in der renommierten Anwaltskanzlei, in der sie angestellt ist, sind allesamt Chauvis, die sie nicht ernst nehmen. Katharina Berner lässt sich trotzdem nicht unterkriegen und nimmt z.B. Fälle von Frauen an, die in der Ehe vergewaltigt werden – was damals nicht unter Strafe stand und trotzdem dazu führen konnte, dass die Frau „schuldig“ geschieden wird.
Ihre große Chance kommt, als eine junge Frau mit einem ungewöhnlichen Anliegen bei ihr anwaltliche Unterstützung sucht: Rita Maiburg möchte die Bundesrepublik Deutschland als Anteilseignerin der Lufthansa verklagen, da die sie rein aufgrund ihres Geschlechts nicht als Pilotin anstellen möchte. Ein Kampf gegen Windmühlen beginnt. Gegen eine von Männern dominierte Justiz und eine voreingenommene und nicht minder von Männern geprägte Presse. Die beiden Frauen lassen sich jedoch nicht entmutigen und ziehen ihr Ding durch. Denn auch wenn dieser Prozess vielleicht ihnen selbst nichts bringen mag – für nachfolgende Generationen ist er ein Meilensteil.
Zeitreise mit vielen Details
Was für eine großartige Zeitreise zurück in die Bundesrepublik der 70er Jahre. Neben der eigentlichen Geschichte haben mich vor allem die kleinen Details begeistert. Denn Christine Drews baut typische Merkmale dieser Zeit wie „Frauengold“ (googelt mal danach – erschreckend, was man Frauen damals verabreicht hat, um sie ruhig zu stellen) oder die „Palmoliv“-Werbung gekonnt in die Geschichte ein. Auf diese Art und Weise wirkt das Bild, das sie von längst vergangenen Zeiten zeichnet, besonders lebendig.
Dasselbe gilt für die rechtlichen Gegebenheiten in der BRD, die damals teilweise schockierend anders waren als heute. Das nicht unter Strafe stehen von Vergewaltigung in der Ehe habe ich eingangs schon erwähnt, genau wie die das Schuldprinzip im Scheidungsfall. In „Freiflug“ werden jedoch auch „Kleinigkeiten“ wie die Tatsache, dass Frauen in der Ehe ohne Zustimmung ihres Mannes weder arbeiten noch ein Konto eröffnen durften, erwähnt. Aus heutiger Sicht unvorstellbar.
Gleichberechtigung – ein langer Weg
Mich hat diese Geschichte von zwei starken Frauen, die es mit einem übermächtigen Gegner aufnehmen, begeistert. Es hat mir gezeigt, dass das Thema Gleichberechtigung ein langer Prozess ist. Denn auch wenn wir von einem Idealzustand noch immer weit entfernt sind, sind wir doch schon ein ganzes Stück vorangekommen. Das macht Mut und gibt in diesen unruhigen Zeiten Hoffnung.
Realität & Fiktion
Gut gefallen hat mir auch, wie Christine Drews in „Freiflug“ die wahre (und leider in Vergessenheit geratene) Geschichte von Rita Maiburg, der ersten weiblichen Linienflugkapitänin der Welt, ausbaut und mit der rein fiktiven Welt von Anwältin Katharina Berner verwebt. Das ist spannend und mitreißend – ohne je in Gefahr zu geraten, das Leben von Rita Maiburg unangenehm auszuschlachten.
Rundum gelungen
Für mich ist „Freiflug“ die perfekte Kombination aus geschichtlicher Lehrstunde und spannender Unterhaltung. Auch hat es mich mit einem gewissen Gefühl der Dankbarkeit zurückgelassen. Dankbarkeit dafür, was Frauen in den Generationen vor uns bereits für uns erkämpft waren. Denn auch in meinem Beruf wurden Frauen vor 30 Jahren für die Sekretärinnen von männlichen Kollegen gehalten. Und eins weiß ich bestimmt: mit den Chauvi-Anwaltskollegen von Katharina Berner könnte ich so überhaupt nicht umgehen. Da bin ich froh, dass ich für meine Leistung geschätzt werde. Nicht mehr und nicht weniger.
Lest dieses Buch – lasst Euch unterhalten, in die 70er Jahre entführen und lernt etwas über die Geschichte der BRD.
Hallo,
ich muss sagen, dass ich deiner Rezension zum Großteil zustimmen kann. für mich klang der Klappentext sehr vielversprechend aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass mich die Geschichte so fesselt. Nur Schade, dass Rita Ihren Traum nicht so lange leben konnte.
Viele Grüße aus dem Bergischen
Mary
Autor
Hallo Mary,
vielen Dank für Deinen Kommentar.
Ja, mich hat das Schicksal von Rita auch sehr bewegt. So schade, dass sie so wenig von ihrem Kampf hatte und nicht sehen kann, was sich bis heute alles getan hat.
Herzliche Grüße.
Stefanie