Nachdem ich hier auf dem Blog „Allianz der Heimatlosen“ rezensiert und im Zuge dessen meine Liebe zur Familie Mann offenbart habe, wurde ich vom Verlag „ebersbach & simon“ angeschrieben, ob ich auch „Die Töchter des Zauberers – Erika, Monika und Elisabeth Mann“ von Annette Seemann lesen und hier vorstellen möchte. Da habe ich sehr gerne zugesagt, denn vom Kosmos der Familie Mann bekomme ich nie genug.
Werbung: das Buch wurde mir vom Verlag kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt.
3 Töchter – 3 Schicksale
In „Die Töchter des Zauberers“ stehen mit Erika, Monika und Elisabeth Mann die drei Töchter von Katia und Thomas Mann im Fokus. Da alle sechs Kinder der Familie jeweils quasi im Doppelpack geboren wurden – zunächst Erika & Klaus, dann Monika & Golo und zum guten Schluss Elisabeth & Michael – liefert das Buch automatisch einen Einblick in die verschiedenen Epochen des Familienlebens der Manns.
Deshalb überrascht es auch wenig, wie unterschiedlich die Rollen der drei Töchter innerhalb der Familie ausfallen:
Erika
Sie trägt als Älteste einerseit viel Verantwortung, gönnt sich aber gleichzeitig eine wilde Jugend und ist zeilebens dem Drogenkonsum und der Medikamenteneinnahme nicht abgeneigt. Sie ist eine Kämpferin – egal ob gegen die Nazis oder für den Nachlass ihres Vaters. Je älter sie wird, desto öfters agiert sie ungerecht gegenüber ihren Geschwistern. Auch in diesem Buch hat sich mein Eindruck verfestigt, dass Erika am glücklichsten war, als sie mit den Nazis ein klares Feindbild vor Augen hatte und deshalb genau wusste, wofür sie lebt.
Monika
Die Mittlere wird auch in „Die Töchter des Zauberers“ als ungeliebtes Kind beschrieben, das nicht so recht in das familiäre Umfeld passen wollte. Mir hat gut gefallen, dass trotzdem die positiven Seiten Monikas hervorgehoben wurden. Dass ihr oft das Talent und die Brillanz ihrer hochbegabten Geschwister abgesprochen wurde, sie aber trotzdem in vielen Situationen einen klareren, viel menschlicheren Blick auf die Dinge hatte als ihre Eltern oder Geschwister.
Elisabeth
Als weibliches Nesthäckchen genoss Elisabeth eine ganz besondere Stellung in der Familie. Sie war der unangefochtene Liebling ihres Vaters. Vielleicht mag es an diesem positiven Start ins Leben gelegen haben, zumindest scheint sie das glücklichste und erfüllteste Leben aller sechs Geschwister geführt zu haben. Vielleicht auch weil sie einen Berufsweg abseits der Literatur gewählt hat und ihr berufliches Schaffen zunächst den „Gender Studies“ und später den Ozeanen widment konnte.
Fesselnd und überraschend aktuell
Mich hat die „Töchter des Zauberers“ von Seite 1 an total in den Bann gezogen. Ich bleibe dabei, es gibt keine spannendere deutsche Familie als die Manns. So viel Drama, so viel deutsche Geschichte kann an ihrem Beispiel erzählt werden. Wer nun argumentieren möchte, dass das doch längst vergangene Zeiten sind, dem kann ich versichern, dass sich überraschende Parallelen im Leben der Manns zu aktuellen politischen Entwicklungen auftun.
Ich habe „Die Töchter des Zauberers“ just in der Woche gelesen, in der die US-Wahl stattgefunden hat und die Ampel-Koalition zerbrochen ist. Bei folgender Passage bin ich in Tränen ausgebrochen und musste das Buch pausieren:
„Was machen wir uns denn noch vor? Wir haben verloren, es ist aus mit uns! Aus, aus, aus, mit euch und mit mir, mit uns allen, mit Offi und Ofey [Hedwig und Alfred Pringsheim] und […] den Gewerkschaften! Die Nazis werden kommen und meinen kleinen Hund Wolfram schlachten und Erikas Wagen kaputtmachen und deine Bücher, Klaus, und meine Bilder auch!“ (Ricki Hallgarten, ein Freund von Erika und Klaus Mann, der den Aufstieg der Nazis hellsichtig vorhergesehen hat)
Mich hat das so getroffen und es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.
Kleiner Kritikpunkt
Bis ca. zur Hälfte des Buches hat Erika Mann für meinen Geschmack zu viel Raum eingenommen und ihre beiden Schwestern in den Schatten gestellt. Das ist sicher hauptsächlich der „Gnade der frühen Geburt“ Erikas und ihrer Prominenz geschuldet. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass Monika und Elisabeth ein bisschen mehr Raum bekommen. Den Rückstand konnten sie auch zum Ende hin und nach Erikas Tod nicht aufholen.
Fazit
Ein wahnsinnig fesselndes und lehrreiches Buch über die drei sehr unterschiedlichen Töchter von Thomas Mann. Während Erika immer im Fokus stand und Elisabeth spätestens seit dem Mehrteiler von Heinreich Breloer dem deutschen TV-Publikum ein Begriff ist, hat mit diesem Buch auch endlich Monika ihren verdienten Platz im Rampenlicht bekommen.
Ich empfehle dieses Buch allen, die sich für Literatur oder die deutsche Geschichte interessieren. Und keine Angst vor dem Genre Biografie: die Geschichte der Familie Mann ist so bewegt, dass sich beinahe jedes Buch zu der „amazing family“ wie ein Roman liest.