|Alltagstrott| Das Internet – ein Segen für Introverts / Kolumne

Kolumne Internet Segen für Introverts

 

Kürzlich hat mir ein befreundeter Kollege eine Anekdote aus seinem Alltag erzählt. Wie sein Sohn – ein Grundschüler – das familieneigene Tablet per Sprachsteuerung bedient hat. Er selbst wusste nicht einmal, dass das Tablet diese technischen Möglichkeiten hat. Geendet hat sein Bericht mit einer Erinnerung an die gute, alte Zeit seiner eigenen Kindheit, in der Computer und das Internet noch kaum eine Rolle gespielt haben. Von wegen „das war eine schöne Zeit“.

 

Ich dachte mir direkt „typisch, von wem diese Aussage kommt“. Von einem sehr extrovertierten, mit technischen Dingen eher überforderten 40-something. Klar, für ihn war früher alles besser. Er liebt es, ständig Menschen um sich zu haben. Dauernd zu reden. Zu telefonieren. Der typische „Introvert“ hingegen – zu denen ich mich zähle – hasst all diese Dinge. Deshalb sind für mich persönlich all die technischen Neuentwicklungen der letzten 10, 15 Jahre ein Segen.

 

Telefonieren muss ich nur noch beruflich oder mit meinen Eltern. Und mit Menschen wie besagtem Kollegen, die sich nicht auf eine schriftliche Kommunikation einlassen. Allerdings lasse ich mich da ausschließlich anrufen und muss mich nicht mehr zu einem Anruf durchringen, immer mit dem Hintergedanken, man könnte stören.

 

Wenn ich nach einem langen Arbeitstag – im schlimmsten Fall durch langwierige Besprechungen geprägt – keine Lust mehr auf Gespräche habe, kann ich mich im Internet in die Welt des gedruckten Wortes zurückziehen.

 

Durch Mailing Lists (ja, so alt bin ich schon…), Foren und Blogs kann ich viel freier kommunizieren und meiner Leidenschaft für das Schreiben (nicht zuletzt auf meinem eigenen Blog) nachgehen. Ich kann mich problemlos mit Menschen aus allen möglichen Ländern unterhalten. Wer behauptet, das Internet sei unpersönlich und bilde nicht das wahre Leben ab, dem kann ich entgegenhalten, dass ich in den letzten gut 15 Jahren echte Freunde über das Medium Internet kennengelernt habe. Menschen, mit denen ich mich auch „live und in Farbe“ mehr oder weniger regelmäßig treffe. Alles eine Frage der Anwendung. Wenn ich die sozialen Medien so nutze, dass ich mich bei Instagram nur durch irgendwelche Influencer-Feeds scrolle und mir mein eigenes Leben deshalb bedeutungslos vorkommt, hilft das natürlich keinem weiter. Richtig eingesetzt, kann sich mir jedoch eine komplett neue Welt (Achtung, Ohrwurm-Alarm: „A Whole New World“ aus „Alladin“. Dazu sind die russischen Paarläufer Gordeeva & Grinkov in den 90ern gelaufen. Man mag anhand dieser Aussage erahnen, warum mein „nerdiges Ich“ im Internet so gut aufgehoben ist) erschließen.

 

Vermutlich nehmen mein Kollege und ich diese neue Welt so gegensätzlich wahr, weil wir uns auf sie so unterschiedlich einlassen. Bei ihm ist vieles „Hörensagen“. Er beschäftigt sich eigentlich überhaupt nicht mit dem Internet in all seinen Facetten. Für ihn hat das keinen Mehrwert. Ich hingegen war schon immer für jeden technischen Schnickschnack zu haben. Computer und das Internet haben mich von Anfang an fasziniert, obwohl meine Familie bei neuen Technologien nie vorne dran war (fragt nicht, wie lange wir nur vier TV-Programme hatten…). Unterbewusst war mir wahrscheinlich schnell klar, dass das Internet genau mein Medium ist. Genau meine Art der Kommunikation.

 

Bei meinem Kollegen kommt eine typische Eigenschaft von extremen „Extroverts“ hinzu: er denkt, er selbst sei die Norm und macht sich keine Gedanken, dass es Menschen geben könnte, die sich in persönlichen Gesprächen und Telefonaten nicht so gut ausdrücken können. Die Folge ist, dass er meint, mich super gut zu kennen. Dabei gibt es eine Seite, von der er keine Ahnung hat. Er weiß weder, dass ich Rezensionen schreibe, noch, dass ich diesen Blog betreibe.

 

Damit möchte ich das Internet nicht auf ein Podest heben. Mir ist bewusst, dass es unendlich viele negative Auswirkungen haben kann. Die Betonung liegt auf „haben kann“. Denn im Grunde kommt es darauf an, was jeder selbst daraus macht. Und ich für meinen Teil ziehe das für mich Beste aus diesem Medium und möchte es nie mehr missen.

 

2 Kommentare

  1. 12. September 2018 / 10:11

    Liebe Steffi,
    besonders dein Fazit gefällt mir richtig gut. Ja, das Internet hat seine negativen Aspekte, aber man muss wissen was man daraus macht bzw wie man es für sich nutzt 🙂
    Auch ich hasse telefonieren, ich bin nicht gerne ständig unter Menschen und genieße die Ruhe, die ich Zuhause habe.
    Ich habe viele tolle Menschen im Internet kennengelernt und das Gute daran ist vor allem, dass die bei solchen Dingen punktuell ähnlich ticken. Wenn ich also schreibe: ich hab heute keine Lust auf das Treffen, ich mag lieber lesen und muss was am Blog machen wird mir immer Verständnis entgegen gebracht. Wenn ich das allerdings extrovertierten Menschen erzähle, die irgendwie immer Leute um sich brauchen und bespaßt werden müssen, etwas überspitzt dargestellt, kann ich mir anhören, dass ich doch auch mal raus gehen müsse. Wieso? Kann mir dann niemand beantworten. „Muss man halt zwischendurch“. Nee, muss ich nicht, ich bin mir selbst genug.

    Liebe Grüße und danke für den tollen Beitrag,
    Nicci

    • glimrende
      Autor
      22. September 2018 / 17:44

      Hi Nicci,

      Dein Kommentar ist aus unerfindlichen Gründen im Spam gelandet. Zum Glück konnte ich ihn da befreien 🙂 . Es freut mich nämlich sehr, dass Dir mein Beitrag gefallen hat.

      Das finde ich so nervig an extrovertierten Menschen, dass die sich selten die Mühe machen, das Verhalten von anderen von verschiedenen Seiten zu betrachten. Für sie gibt es häufig nur eine Wahrheit. Man muss raus, jedes WE Party…

      Das Gute am Alter ist, dass man sich um solche angeblich allgemein gültigen Dingen nicht mehr schert 😉

      Viele Grüße,

      Steffi

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