|Sportsgeist| Finale Bundesliga im Kunstturnen 2017 in Ludwigsburg

Finale Bundesliga Kunstturnen Ludwigsburg Klatschpappe Tabea Alt

Die „Klatschpappe“ – eine deutsche Erfindung?! Zumindest sind Amerikaner immer ganz baff, wenn sie mitbekommen, wie laut es beim deutschen Basketball ist, dank dieser Klatschpappen.

Ich war zu Kinder- und Jugendzeiten ein großer Kunstturnfan. Die erste WM, an die ich mich richtig gut erinnern kann, ist die von 1991, als die winzig kleine Kim Zemskal aus den USA die große Svetlana Boginskaya aus der ehemaligen Sowjetunion geschlagen hat. Wer meinen Geschmack bei künstlerischen Sportarten kennt, wird denken, dass ich damals „Team Boginskaya“ war. Stimmt nicht, ich war irgendwie schwer beeindruckt von der quirligen Kim Zmeskal. Aber das war eine große Ausnahme, ansonsten kommen alle meine Favoriten aus dem Ostblock. Müsste ich eine Lieblingskunstturnerin aller Zeiten wählen, würde ich mich für die wundervolle Lilia Podkopayeva entscheiden, die 1996 in Atlanta olympisches Gold im Mehrkampf gewonnen hat. Daneben gehört mein Herz einer Turnerin, die lange vor meiner Zeit aktiv war: Olga Korbut. Deren Geschichte habe ich in einem Buch über die Olympischen Spiele 1972 in München aus dem Bücherregal meiner Eltern entdeckt.

Olga Korbut

Olga Korbut im Olympiabuch meiner Eltern

Als ich mitbekommen habe, dass das Finale der Bundesliga im Kunstturnen in Ludwigsburg stattfinden wird, stand für mich fest, dass ich dieses Event besuchen möchte, denn live habe ich Kunstturnen noch nie gesehen. Litla Gletta – mein üblicher Partner in Crime – ließ sich auch zu diesem Sportereignis überreden.

Zum Glück waren wir rechtzeitig an der MHP Arena, denn der Einlass war mehr als chaotisch. Ich hatte am Abend zuvor extra das Internet durchforstet, um herauszufinden, ob ich meine Spiegelreflexkamera mit in die Arena nehmen würde dürfen, konnte aber keine Information finden (mit Ausnahme des Hinweises auf dem Ticket, dass keine Getränke und kein Essen zur Mitnahme in die Arena erlaubt sind). Also packte ich meine Kamera ein, denn ich hatte schon bei anderen Sportveranstaltungen an gleicher Stelle fotografiert. Prompt wurde ich am Eingang abgewiesen, und man wollte mich zwingen, meine (teure) Kamera an der Garderobe abzugeben. Da habe ich dankend drauf verzichtet und lieber meine Fotoausrüstung zurück zum Auto geschleppt. Die Krönung war, dass nicht nur Spiegelreflexkameras ohne vorige Information für die Zuschauer nicht erlaubt waren, auch was die Größe von mitgebrachten Taschen betraf, gab es Vorgaben (maximal DIN A 4), von denen niemand wusste. Das Chaos am Eingang kann man sich ausmalen…

Finale Bundesliga Kunstturnen Ludwigsburg Pauline Schäfer

Pauline Schäfer am Stufenbarren. Eigentlich der pure Wahnsinn, was mit heutigen Smartphones auch bei schlechten Plätzen möglich ist. Ich mag mir nicht ausmalen, was für Bilder ich mit meiner großen Kamera hätte produzieren können…

In der Halle angekommen war ich – wie immer bei so modernen Hallen – davon begeistert, dass man auch von den „schlechten“ Plätzen aus gut sieht. Wir saßen in einer der hinteren Reihen in der Kurve und hatten trotzdem alle Geräte gut im Blick.

Der erste Wettbewerb war das Finale bei den Damen mit den Mannschaften des MTV Stuttgart, der TG Karlsruhe-Söllingen, der TG Mannheim und der TSG Steglitz. Es gab gleich auf den ersten Blick einige Dinge, die mich im Vergleich zum Kunstturnen im TV überrascht haben. Da wären als erstes die Mädchen, die in echt viel muskulöser sind als im Fernsehen. Ich war wirklich erstaunt, dass sie in etwa doppelt so breit sind wie Eiskunstläuferinnen (die zwar häufig winzig und sehr schmal sind, aber trotzdem gut trainierte Arme und Beine haben, die im TV nicht zur Geltung kommen). Ein nicht näher von mir benannter Eiskunstlaufkommentator könnte beim Kunstturnen sein legendäres „sie besteht nur aus Oberschenkeln!“ in die Runde werfen, um diese kleinen Kraftpakete zu beschreiben. Eine weitere Überraschung: der Anlauf beim Sprung ist in etwa dreimal so lang, wie ich vom TV her den Eindruck hatte.

Apropos Sprung, eigentlich ist das meine unliebste Disziplin, aber live hat mir dieser Wettbewerbsteil viel Spaß gemacht. Im Gegensatz zum Schwebebalken, wo die Übungen sehr statisch und die gymnastischen Elemente fehl am Platz wirken. Beim Bodenturnen stören mich die sehr ähnlichen Musiken mit starkem Beat, die häufig nur nebenher dudeln und nicht wirklich interpretiert werden, so dass mir die Darbietungen am Stufenbarren am besten gefallen haben.

Die bekanntesten Kunstturnerinnen, die in Ludwigsburg gestartet sind, waren die Goldmedaillengewinnerin der WM, Pauline Schäfer, Lokalmatadorin Tabea Alt und die unverwüstliche Elisabeth Seitz. Am meisten beeindruckt hat mich hierbei Tabea Alt. Sie hat – mit Ausnahme eines Absteigers am Schwebebalken, aber da sind gefühlte 90% der Starterinnen unfreiwillig vom Gerät gegangen – hervorragend geturnt, und ich kann mich nicht erinnern, dass das deutsche Kunstturnen der Damen seit der Wiedervereinigung jemals so ein großes Talent in seinen Reihe hatte. Sie ist ein echtes Kunstturn-Juwel!

Das Kunstturnen der Damen ist auch das beste Beispiel dafür, dass eine jahrzehntelang darniederliegende Sportart plötzlich eine Erfolgsgeschichte schreiben kann (vielleicht ein Hoffnungsschimmer für das deutsche Eiskunstlaufen…). Ich weiß aus der Erinnerung noch sehr gut, dass mehrfach völlig erfolglos darum gerungen wurde, ein Team für Olympia zu qualifizieren. 10, 20 Jahre später ist man zurück im Rampenlicht und hat eine schlagfertige Mannschaft am Start.

Der MTV Stuttgart hat dieses Finale schlußendlich recht souverän (und absolut verdient) gewonnen.

In der Pause vor dem Finale der Herren haben wir uns spontan dazu entschlossen, in dem amerikanischen Diner neben der Arena etwas essen zu gehen. Das hat super geklappt und war eine tolle Alternative zum Fast Food in der Halle. Meine überbackene Kartoffel mit Salat würde ich sogar als recht gesund bezeichnen. Vielleicht wäre das eine tragfähige Geschäftsidee: leckeres, gesundes Essen für Veranstaltungshallen und Stadien produzieren. Nicht jeder steht auf Wurst, Pommes und Softdrinks.

Finale Bundesliga Kunstturnen Ludwigsburg Oleg Verniaiev

Oleg Verniaiev

Nach ca. 90 Minuten Pause kämpften der KTV Straubenhardt, die TG Saar, der  KTV Obere Lahn und der MTV Stuttgart um den Sieg bei den Männern. Der Modus war ein anderer als bei den Damen, denn die Herren kämpften in Duellen „Mann gegen Mann“ gegeneinander. Je nachdem, wie groß der Abstand zwischen den zwei Duellanten war, so viele Punkte wurde vergeben. Das sollte wohl die Spannung steigern, ich konnte aber keine entscheidende Verbesserung des Spannungsbogens im Vergleich zu den Damen (wo einfach die von den Kampfrichtern vergebenen Punkte addiert wurden) feststellen.

Allgemein muss man jedoch anerkennen, dass diesem Finale ein tragfähiges Konzept zugrunde liegt. Die einzelnen Übungen wurden Schlag auf Schlag vorgetragen, es gab kaum Pausen und die musikalische Untermalung und die Ausgabe von „Klatschpappen“ trugen zur Stimmung bei. Sogar die Kampfrichter sind zu lauter Musik einmarschiert. Da könnte sich das Eiskunstlaufen vielleicht ein Scheibchen von abschneiden, wobei mir bewußt ist, dass das ein zweischneidiges Schwert ist, wenn man versucht, Sport und Show zu vereinen (siehe der Auftritt gewisser Schlagerköniginnen beim Fußball).

Bei den Herren waren nicht nur bekannte deutsche Kunstturner wie Fabian Hambüchen, Marcel Nguyen oder Andreas Brettschneider am Start sondern auch internationale Stars wie der Ukrainer Oleg Verniaiev oder die Russen David Belyavsky und Nikita Nagorny. Letzterer war mein persönlicher Favorit, denn ich fand seine Übungen besonders elegant und abwechslungsreich.

Das Duell um den dritten Platz war spannungsarm, da die verletzungsgeplagte Stuttgarter Rumpftruppe kaum eine fehlerfreie Übung aufs Podium brachte. So konnte sich der KTV Obere Lahn um Fabian Hambüchen ungefährdet den dritten Rang erturnen.

Finale Bundesliga Kunstturnen Ludwigsburg Reck

Es war ein tolles Gefühl, bei einem historischen Moment dabei zu sein, denn Fabian Hambüchen turnte hier seinen allerletzten Wettkampf. Seine Reckübung fand ich besonders großartig. Danke Fabi, für eine große Karriere, die im Nachhinein mit Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Silber bei den Olympischen Spielen 2012 und Gold bei den Olympischen 2016 keinen perfekteren Spannungsbogen hätte haben können (vielleicht wird Aliona Savchenko im nächsten Jahr etwas ähnliches sagen…).

Der Kampf um den Titel zwischen dem KTV Straubenhardt und der TG Saar war zunächst eng, am Ende konnten sich die Serienmeister aus dem Schwarzwald jedoch von den Saarländern absetzen.

Mein Lieblingsgerät bei den Herren ist live und im TV das Reck. Im Fernsehen mag ich das Pauschenpferd und die Ringe am wenigsten. Die Ringe sehen in der Halle genauso merkwürdig aus wie im TV (ich mag diese statischen Halteelemente nicht), wohingegen das Pauschenpferd live an Spannung und Eleganz gewinnt.

Von ca. 13:30 Uhr bis fast 21:30 Uhr war das ein richtig langer Sporttag, bei dem es natürlich auch weniger spannende Momente gab. Insgesamt war es aber super schön und interessant. Gerne wieder bei der Kunstturn-WM 2019 in Stuttgart. Hoffentlich mit Kamera.

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