Ich bin bekennender Fan der Familie Mann. Angefangen hat es mit einem Referat über Thomas Mann und sein Meisterwerk „Die Buddenbrooks“ in der 10. Klasse. Später folgte das großartige Doku-Drama „Die Manns“ von Heinrich Breloer in der ARD. Von Anfang an zog mich die Geschichte dieser exzentrischen, hochtalentierten, sehr deutschen Familie in ihren Bann. Auch wenn nobelpreisprämierte Literatur auf den ersten Blick abschreckend wirken mag, kann ich Euch von ganzem Herzen empfehlen, Euch trotzdem mit der einzigartigen Geschichte dieser Familie zu beschäftigen und zumindest das oben erwähnte Doku-Drama oder eine der Verfilmungen der Werke aus der Familie Mann anzuschauen. Als ich „Dichterkinder“ von Armin Strohmeyr entdeckt habe, stand für mich außer Frage, dass ich auch dieses Porträt über zwei der Kinder Thomas Manns und ihrer Freunde lesen möchte.
Werbung: das Buch wurde mir von netgalley kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt.
Erika, Klaus & Freunde
Erika und Klaus Mann, die ältesten Kinder von Thomas Mann, haben mich schon immer fasziniert. Nicht nur wegen ihrer geradezu symbiotischen Beziehung zueinander. Sondern auch, weil ich den Eindruck hatte, dass sie nie so glücklich (oder erfüllt?) waren wie in der Zeit des 2. Weltkriegs, als sie ein klares Feindbild vor Augen hatten: Hitler-Deutschland. Hinzu kommen ungezählte Beziehungsdramen, Drogenkonsum, Eifersüchteleien und das zwiespältige Verhältnis zum großen Dichtervater.
Genau um diese Dinge geht es auch in „Dichterkinder“. Nur dass hier nicht nur Erika und Klaus Mann sondern auch die mit Ihnen befreundeten (und manchmal auch verfeindeten) Dichterkinder Mopsa Sternheim, Pamela Wedekind und Annemarie Schwarzenbach im Fokus stehen. Das macht dieses Buch zu etwas Besonderem.
Der Aufbau von „Dichterkinder“ – mit kleinen Schwächen
Jedes Kapitel berichtet von einem anderen der Dichterkinder und ihren vielfältig verflochtenen Beziehungen zueinander. Dieser Reigen startet in den goldenen 20er Jahren, überdauert die dunkle Zeit des Nationalsozialismus bis hinein in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg.
Mich hat an diesem sehr strikten Aufbau manchmal irritiert, dass es dadurch in den einzelnen Kapiteln zu Wiederholungen gekommen ist. Hier würde ich den Autor gerne fragen, ob er das bewusst so gewählt hat und falls ja, was der Grund dafür ist.
Die wilden 20er
Besonders fasziniert hat mich, wie frei die 1920er Jahre waren. Klar, man hört immer wieder von den wilden 1920ern, aber dass damals zumindest in Berlin die freie und gleichgeschlechtliche Liebe recht offen gelebt wurde, war mir nicht bewusst. Natürlich wird es im tiefsten Niederbayern z.B. nicht so ausgesehen haben. Trotzdem erschreckt mich der Gedanke, was für riesige Rückschritte die Gesellschaft in der Hinsicht in der NS-Zeit gemacht hat und wie lange es gedauert hat, wieder einen einigermaßen offenen Umgang zu finden. Denn in der Hinsicht war auch die Zeit der alten Bundesrepublik furchtbar angestaubt und tabuisiert.
Und an der Stelle können wir auch den Bogen ins Hier und Jetzt spannen. Was waren das für unruhige Zeiten vor ungefähr 100 Jahren. Schlimmer als aktuell? Definitiv. Und irgendwie hat die Menschheit auch das überlebt…
Spannend, mitreißend, lehrreich
Für mich waren die „Dichterkinder“ trotz der ernsten und für Außenstehende auf den ersten Blick etwas trocken anmutenden Thematik sehr spannend und mitreißend. Ich habe beim Lesen nur selten gemerkt, dass es sich um ein Sachbuch und nicht um einen Roman handelt. Ich kann das Buch von ganzem Herzen allen empfehlen, die sich für die wahrscheinlich größte deutsche Dichterfamilie interessieren oder diese besser kennenlernen möchten. Die Geschichte der Familie Mann braucht sich hinter so mancher fiktiven Familiengeschichte definitiv nicht zu verstecken. Und ganz nebenbei lernt man einiges über die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Für mich eine runde Sache.