|Leseliebe| „Als die Welt stehen blieb“ von Maja Lunde

Ein Buch über die Pandemie, die uns noch immer in Atem hält. Ob aktuell der richtige Zeitpunkt ist, um so ein Buch zu lesen? Oder wäre es besser gewesen, das Überwinden derselben abzuwarten und erst im Anschluss zu „Als die Welt stehen blieb“ von Maja Lunde zu greifen? Andererseits zweifle ich stark, dass wirklich der Punkt kommen wird, an dem wir dasitzen und voller Überzeugung sagen: ‚Ja, die Welt hat es geschafft, die Pandemie ist Geschichte!‘ Es wird wohl eher ein schleichender Prozess sein, und wir werden irgendwann zu der überraschenden Erkenntnis kommen: ‚Ach, der vierte (oder fünfte, oder…) Lockdown ist ja gar nie gekommen…‘ Und wisst Ihr was? Ich bin mir sicher, zu dem Zeitpunkt werden wir alle mitten in ganz anderen Problemen stecken. Denn irgendwas ist ja immer…

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Als die Welt stehen blieb von Maja Lunde

 

Tagebuch einer Pandemie

Eigentlich sollte Maja Lunde, die Schriftstellerin, die es mit „Die Geschichte der Bienen“ zu Weltruhm brachte, an einem ganz anderen Projekt arbeiten. Dann jedoch kam der März 2020 und hob mit der Ausbreitung eines Virus namens ‚Corona‘ die ganze Welt aus den Angeln. Plötzlich befand sich auch das idyllische Norwegen mitten in einem Lockdown und für Maja Lunde erschien es unmöglich, mit ihrer „normalen“ Arbeit fortzufahren. Stattdessen begann sie, Tagebuch zu führen. Genau dieses Tagebuch hält man mit „Als die Welt stehen blieb“ in Händen.

 

Wie ist es, als Autorin in einer ‚realen Dystopie‘ zu leben?

Maja Lunde ist durch die bereits eingangs erwähnte „Geschichte der Bienen“ und die darauffolgenden Büchern bekannt für ihre Dystopien. Es sind Geschichten, die aufrütteln und plastisch zeigen, welche Auswirkungen der Klimawandel haben wird. Trotzdem fällt es Maja Lunde wahnsinnig schwer, sich an all die Dinge zu gewöhnen, die im März 2020 plötzlich passieren. Denn sie muss schmerzhaft feststellen, dass es zwei unterschiedliche Paar Stiefel sind, ob ich eine Dystopie schreibe – oder plötzlich selbst in einer lebe.

Es sind die kleinen Dinge, die ihren Alltag von einem Tag auf den anderen wahnsinnig anstrengend und deprimierend machen. Sie lebt mit ihrem Mann und drei halbwüchsigen Söhnen in einem Haus in Oslo. Ein Haus, das plötzlich viel zu beengt erscheint, als sie alle fünf jeden Tag daheim sind. Wie so viele andere Mütter auch, reibt sie sich beim Home Schooling auf und hat das Gefühl, dass für ihre eigene Arbeit und Kreativität kein Platz mehr bleibt. Sie streitet sich mit ihrem Mann und den Söhnen über Kleinigkeiten und hat manchmal keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Erschwerend kommt hinzu, dass sie einen Knoten in ihrer Brust entdeckt hat. So kommt zur weltweiten Pandemie ihr ganz persönliches Drama hinzu.

 

Maja Lunde "Als die Welt stehen blieb"

 

‚Wohlfühlbuch‘ geht anders…

Ein ‚Wohlfühlbuch‘ war „Als die Welt stehen blieb“ ganz gewiss nicht. Dazu ist uns allen die Pandemie noch viel zu nahe. Es war eher deprimierend zu lesen, wie sehr sich Maja Lunde von all der Ungewissheit herunterziehen ließ. Eine Frau, die sich eigentlich in einer privilegierten Situation befindet: in einem der reichsten, (sozial) sichersten Länder der Erde, mit genug Geld aus ihren Bestsellern. Trotzdem leidet sie sehr.

Manchmal war mir dieses Leiden eine Spur zu viel. Obwohl ich weiß, dass man niemandem absprechen darf, wie sie oder er mit einer solchen Ausnahmesituation umgeht. Trotzdem wollte ich Maja Lunde an der ein oder anderen Stelle am liebsten schütteln, um sie auf die oben beschriebene, privilegierte Situation aufmerksam zu machen.

 

Digitalisierung in Norwegen vs. Deutschland

Andererseits war es beruhigend zu lesen, dass selbst in Norwegen am Anfang die Netze im Home Schooling zusammengebrochen sind. Wir Deutschen tun ja gerne so, als wären wir, was die Verteilung es Internets betrifft, die letzten Hinterwäldler. Aber sogar im sehr gut vernetzten Norwegen, wo im abgelegensten Fjord Netz vorhanden ist, kam das Internet in dieser Ausnahmesituation an seine Grenzen. Auf der anderen Seite war ich erstaunt darüber, dass es in Norwegen selbstverständlich ist, dass es eine ‚Schul-App‘ gibt. Etwas, wovon ich in Deutschland noch nie gehört habe.

 

Zeitgeschichte

Ich halte „Als die Welt stehen blieb“ für ein sehr wichtiges, zeitgeschichtliches Werk. Dieses Buch wird auf alle Fälle einen festen Platz in meinem Bücherregal finden. Ich plane, in zehn Jahren noch einmal zu diesem Buch zu greifen, um mir das Gefühl, in einer Pandemie zu leben, zu vergegenwärtigen. Außerdem möchte ich es später Kindern in die Hand drücken können, die viel zu klein sind, um diese Pandemie zu verstehen (z.B. mein Patenkind), oder die vielleicht noch gar nicht geboren sind.

„Als die Welt stehen blieb“ ist also kein Buch, das in der aktuellen Situation zum Wohlbefinden beiträgt. Missen möchte ich es trotzdem nicht. Denn es ist ein wichtiges Stück der Erinnerung.

 

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