Die Freilichtspiele in Schwäbisch Hall sind für mich so etwas wie ein Traditionsevent. Wenn man in seiner Heimatstadt solch eine kulturelle Veranstaltung vor Ort hat, muss man das auch nutzen, finde ich. Ich wurde bereits in Kindertagen an die Freilichtspiele herangeführt, denn es gibt nicht nur die Stücke für Erwachsene auf der „großen“ Treppe sondern auch jedes Jahr ein Theaterstück speziell für Kinder. Ich erinnere mich an Aufführungen von „Pippi Langstrumpf“ oder „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“.
St. Michael und die Treppe |
Der Spielort der Freilichtspiele ist etwas ganz besonderes, denn die Aufführungen finden nicht auf einer normalen Theaterbühne statt sondern auf den Stufen der Kirche zu St. Michael in Schwäbisch Hall. Das stellt die Akteure vor besondere Herausforderungen, denn diese müssen während des Theaterstücks ständig die Stufen auf und ab turnen. Das fordert nicht nur einiges an Kondition sondern auch Geschick, denn wie schnell gerät man auf den Stufen ins Stolpern. Vor allem da die meisten Stücke nicht nur ein gemächliches hin und her Schreiten sondern auch Rennen oder gar Kampfszenen beinhalten.
Der Marktplatz |
Ich habe versucht zu rekapitulieren, welche Stücke ich in der Vergangenheit besucht habe und welche Momente mir besonders im Gedächtnis geblieben sind. Intendanten und Regisseure unter meinen Lesern sollten hier aufmerksam mitlesen, so zeigt es doch, welche Szenen sich beim Zuschauer einprägen.
1996 | 1997: „Im weißen Rössl“
Ganz ehrlich, ich hätte nicht mehr gewusst, dass diese Operette mein erstes Stück auf der großen Treppe gewesen ist. Es war eine eher traditionelle Inszenierung (im Gegensatz zu der überzeichneten Version vor ein paar Jahren, die auf viel Kritik gestoßen ist). Mein Lieblingsmoment: als der Kaiser aus dem Rücken des Publikums vom Rathaus her eingezogen ist. Das war sehr erhaben.
1997: „Der Besuch der alten Dame“
Hier streikt mein Gedächtnis ein bisschen, was vor allem daran liegt, dass ich hier fast zeitgleich eine ganz hervorragende Schüleraufführung gesehen habe. Gehört zu meinen Lieblingstheaterstücken.
1998 | 1999: „Der Glöckner von Notre-Dame“
Zusammen mit „Jedermann“ wahrscheinlich das perfekte Stück für diesen Spielort. Man bekommt „Notre-Dame“ (= St. Michael) quasi kostenlos als Bühnenbild mitgeliefert. Ich werde nie vergessen, wie der Glöckner hoch oben an der Kirche am Zugseil der Glocke hing.
1998: „Nathan der Weise“
Hier habe ich kein spezielles Highlight, aber ich mochte das Stück sehr. Traurig aber wahr, die „Ringparabel“ist mittlerweile aktueller denn je…
1999: „Die Jungfrau von Orleans“
Ich war mir kurz unsicher, ob ich dieses Stück wirklich gesehen habe. Aber dann fiel es mir ein, wie könnte ich die echten Schafe auf der Treppe vergessen!
1999 | 2000: „Cyrano – Das Musical“
Hier erinnere ich mich vor allem an meine Begleitung, denn ich hatte eine ehemalige Brieffreundin dabei. Es war schön zu sehen, wie sich jemand, der nicht mit den Freilichstpielen aufgewachsen ist, für den Ort und die spezielle Atmosphäre begeistert.
Das Rathaus |
2000 | 2001: „Jedermann“
Das Stück, mit dem die Freilichtspiele in Schwäbisch Hall quasi geboren wurden. Ein Klassiker, den man in Schwäbisch Hall gesehen haben muss.
2000 Globe Theater: „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“
Das war damals etwas ganz besonderes, denn 2000 war die erste Spielzeit im neugebauten Globe Theater. Da ich Shakespeare sehr gerne mag, hat mir auch diese Zusammenfassung seiner Werke super gefallen.
2001 | 2002: „Jesus Christ Superstar“
Meine Mutter war ein riesiger Fan der ersten Aufführung von „Jesus Christ Superstar“ auf der Treppe in der 90er Jahren mit dem damals groß in Mode kommenden Musicalstar Uwe Kröger. Sie war sehr enttäuscht vom „neuen“ Jesus Christ, denn der war eher schmächtig und blieb für ihren Geschmack zu blass. Ich selbst bin nicht der größte Musicalfan und „Jesus Christ Superstar“ gehört rein musikalisch definitiv nicht zu meinen Favoriten. (Außerdem muss ich automatisch an die Kür von Berezhnaya & Shliakov denken. Aber das ist eine andere Geschichte…). Ich glaube, ich bin damals nur mit, um meine Mutter zu begleiten…
2001: „D’Artagnan und die 3 Musketiere“
Definitiv eine der größten Herausforderungen, die die Treppe je an ihre Schauspieler gestellt hat. Die Kampf- und Fechtszenen haben sich für immer bei mir eingeprägt.
2001 Globe Theater: „Romeo & Julia“
Meine absolute Lieblingsaufführung, der ich je in einem Theater beigewohnt habe. Zum einen weil ich das Stück liebe. Für mich eine der schönsten Geschichten, die je erzählt wurde. Zum anderen waren Romeo und Julia hier genial besetzt. Vor allem der „Romeo“ in Gestalt von Otto Beckmann war wirklich anbetungswürdig. Außerdem war eine Freundin von mir als Statistin dabei. Sie wusste nicht, dass ich in der ersten Reihe bei der Premiere im Publikum sitzen würde. Die Überraschung war groß. Auch werde ich nie den Moment vergessen, als sie einen Vorhang schließen musste, dieser sich aber als äußerst widerspenstig zeigte und sich erst nach größter Anstrengung zuziehen ließ.
2002: „Kasimir & Karolin“
Ich mochte das Stück, kann mich aber partout an kein Highlight erinnern. Außer das oben erwähnte Freundin wieder als Statistin dabei war.
2003: „Der Name der Rose“
Ich mag den Film, das Buch gehört jedoch zu einem der wenigen Bücher, die ich jemals abgebrochen habe. Ich bin aufgrund der ausufernden historischen Schilderungen nie in die Geschichte hineingekommen. Das Theaterstück gefiel mir genauso gut wie der Film. Nicht nur wegen der einprägsamsten Szene, als sich der junge Mönchsgehilfe vorne auf der Bühne ausgezogen hat. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es sich hierbei um den „Romeo“ aus dem Jahr 2001 gehandelt hat. Meine
Statisten-Freundin und ich waren hin und weg. Der Otto…
2004 | 2005 | 2006: „Die Comedian Harmonists“
Hier muss ich ein bisschen in meiner Erinnerung kramen, denn das Theaterstück wird durch den gleichnamigen Film überlagert. Irgendwie habe ich automatisch Heino Ferch vor Augen, wenn ich an die „Comedian Harmonists“ denke… Und „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück…“ im Ohr. So schön traurig.
2011 | 2012 | 2013: „Summer of Love – eine Revue über die wilden 60er“
Diese Revue ist eine meiner Favoriten. Sie wurde speziell für die Freilichstpiele komponiert. Es geht um eine Gruppe Jugendlicher, die in den 60er Jahren in Schwäbisch Hall aufwächst. Sie kommen mit den amerikanischen GIs der nahegelegenen Kaserne in Kontakt, versuchen der Enge der Kleinstadt zu entfliehen etc. Mir haben sowohl die Geschichte als auch die Lieder super gefallen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Moment, als ein schwarzer, amerikanischer GI auf einem Militärjeep unten an der Treppe entlang gefahren wird, während er auf dem Jeep steht und singt. Das war wirklich cool.
2011 | 2012 Globe Theater: „Boston Princess. Die Kennedys – ein amerikanischer Alptraum“
Hier habe ich die Karten meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt. Wir waren beide begeistert, denn das Stück war richtig
schön bitterböse. Zu Schulzeiten war ich großer Fan der Kennedys. Das hat sich gelegt, nachdem ich „Owen Meany“ von John Irving gelesen hatte. In „Boston Princess“ kommt zumindest Robert Kennedy ganz ordentlich weg, während JFK als ziemlicher Trottel dargestellt wird.
2015 Globe Theater: „Männer“ – eine Revue über das starke Geschlecht
Dieses Stück war ein Highlight, denn im Prinzip bestand es ausschließlich aus bekannten Liedern. Die wurden aber so gekonnt in Zusammenhang gebracht, dass man die verschiedenen Männertypen, die die Schauspieler repräsentieren sollten, perfekt erkennen konnte („der Pantoffelheld“, „der Aufreißer“ etc.). Ein unvergesslich witziger Abend bei schweißtreibenden Temperaturen.
2016: „The Stairways to Heaven“ – eine Revue über die 70er und 80er Jahre
Das ist die Aufführung, die ich am vergangenen Wochenende gesehen habe. Alle meine amerikanischen Freunde wären amüsiert gewesen, denn die Aufführung startete mit dem Lied, das die Mauer zum Einsturz gebracht hat: „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff. Uns Deutschen wird ja eine seltsame Leidenschaft für dieses Lied nachgesagt. Ich muss zugeben, dass mir dieses Lied als Kind auch gefallen hat.
Das Bühnenbild war wie immer bei den Freilichtspielen eher reduziert und bestand aus einer silbernen Auflage auf den Stufen, die zum Leuchten gebracht werden konnte und aus einer ebenfalls silbernen Mauer, vor der die Schauspieler durch verschiedene Wegweiser die unterschiedlichen Ereignisse angezeigt haben (z.B. RAF oder das Wappen der Stadt Schwäbisch Hall).
Das Stück spielt in den Jahren 1972 bis 1989. Es geht um vier junge Menschen, deren Leben durch einen „Engel in Ausbildung“ positiv beeinflusst werden soll (quasi das Gesellenstück, um ein echter Engel zu werden). Eine Protagonistin avisiert zur Karriere-Bankerin (wir sind schließlich in Schwäbisch Hall – da darf ein im Chor geschmettertes „Auf diese Steine können sie bauen!“ nicht fehlen), ihr Angebeteter dealt mit Drogen und ist Musiker im Gewand eines Alt-Hippies, der Nerd wandert in die USA aus und entdeckt neben Steve Jobs auch seine Liebe zu Männern und die Punkerin verliebt sich in einen Jungen aus dem Osten. Trotz himmlischer Hilfe schlittern die vier ungelenk durchs Leben und bringen ihren Schutzengel zur
Verzweiflung.
Das ganze wird mit historischen Ereignissen verwoben. So engagiert sich die Punkerin bei den „Grünen“ und findet sich auf deren Gründungsparteitag in Sindelfingen wieder – gemeinsam mit Winfried, Jutta, Petra und Joschka. Hier fällt einer der stärksten Sätze („Winfried, wenn du so weitermachst, schaffst du es bis zum Ministerpräsident!“). Auch die Toten der RAF oder Willi Brandts Kniefall werden thematisiert.
Diesen Punkt würde ich als einen der Schwachpunkte des Stückes ausmachen: manchmal schwankt es etwas unentschlossen zwischen Komödie und Tragödie hin und her und die Übergänge zwischen beidem wirken hölzern.
Die Musik der 70er und 80er Jahre steht ebenfalls im Mittelpunkt. Die Schauspieler singen live und auch eine Live-Band ist vor Ort. Die Darsteller haben mich um einiges mehr überzeugt als Andrea Berg am Tag darauf beim kurzen Umschalten von Olympia im ZDF in die ARD. Ansonsten ist vor allem die englischsprachige Musik aus den 70er und 80er Jahren so gar nicht meins, weshalb ich mit vielen Liedern nicht warm geworden bin. Mein Favorit war dann auch (peinlicherweise) „Fußball ist unser Leben“.
Sehr amüsant fand ich am Anfang die Nachrichten, die vom Band kamen. Deutschlandweit: Die Mauer ist im Begriff zu fallen. Schwäbisch Hall: im evangelischen Bildungshaus sind im Kurs „Brokatengel basteln für Anfänger“ noch Plätze frei.
Mein Fazit zu diesem Stück fällt durchwachsen aus. Mit den letzten drei Stücken, die ich gesehen habe und alle zu meinen persönlichen Highlights zähle, konnte „The Stairways to Heaven“ nicht mithalten. Trotzdem ein kurzweiliger Abend, der seine Momente hatte.