|Wanderlust| Travel Diary: St. Moritz zur Weltmeisterschaft im Ski alpin 2017 – Teil 5

St. Moritz Ski WM Flugshow

Samstag, der 11.02.2017

Bei strahlendem Sonnenschein und Neuschnee machen wir uns morgens ein letztes Mal auf zur Haltestelle für den Shuttlebus. Leider haben noch sehr, sehr viele andere Menschen dieselbe Idee. Schließlich ist Wochenende, die Schweizer sind in der Favoritenrolle und stellen den amtierenden Weltmeister und das Wetter scheint – wie bereits erwähnt – perfekt. Die Schweizer sind ja eigentlich für ihr tadelloses Organisationstalent bekannt (Stichwort „funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk“), aber hier offenbaren sie Schwächen, denn die Anzahl der Shuttlebusse ist schlicht nicht ausreichend. Da man bereits am Vortag verkündet hat, dass 40.000 Zuschauer erwartet werden, wäre es eigentlich nicht schwer gewesen, auszurechnen, wie viele Busse man in der Minute schicken muss. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass es nicht möglich ist, mehr Busse gleichzeitig die Serpentinen hoch zu schicken, aber dann hätte man sich einen anderen Weg überlegen müssen. Da zu Fuß hoch laufen aus den bekannten Gründen keine Option für uns ist, stellen wir uns geduldig in die Schlange (oder eher Menschenmenge, denn Mitteleuropäer können im Gegensatz zu Engländern ja keine Schlange bilden…) und konnten einen begehrten Platz in einem Kleinbus ergattern.

St. Moritz Ski WM Abfahrt Herren

Oben auf dem Berg angekommen, wimmelt es vor Menschen. Bei traumhaftem Bergwetter verkürzt uns die Flugshow von Swiss Air und des Schweizer Militärs die Wartezeit. Ich kannte diesen Auftritt bereits von Bildern und Videos vom Skiweltcup in Wengen. Der Faszination einer solchen Flugshow kann auch ich mich nicht entziehen, jedoch werden bei mir unweigerlich Erinnerungen an das Unglück von Ramstein wach, und ich habe nie verstanden, warum die Schweiz als Nachbarland diese Katastrophe nicht zum Anlass genommen hat, auf solche Shows zu verzichten. Dass meine Bedenken nicht unberechtigt sind, wird sich eine Woche später zeigen: die Piloten der Militärjets fliegen zu niedrig und reißen eine Seilkamera herunter, die in den zum Glück leeren Zielraum stürzt. Das hätte ganz, ganz böse ausgehen können.

St. Moritz Ski WM Flugshow

Sehr amüsant finde ich, wie es die Schweizer schaffen, während der Flugvorführung ihren ganzen Nationalstolz in die Moderation zu packen, alle Schweizer Vorzüge zu erwähnen und sogar einen Bogen zum Gotthard-Basistunnel zu schlagen. In Deutschland hätte man wahrscheinlich eher auf den „unendlichen“ Berliner Flughafenbau, die Probleme mit Stuttgart21 und „die Elbphilharmonie ist zwar fertig aber viel zu teuer“ verwiesen. Die Schweizer sind echt selbstbewusst und, by the way, viel lauter, als ich jemals gedacht hätte. Und zwar nicht nur die italienischen Schweizer, die ganz wie ihre „originalen“ Kollegen gerne auf einem einsamen Berggipfel stehen und lautstark in ihr Handy brüllen (und morgens nur ein Croissant frühstücken).

St. Moritz Ski WM Flugshow

Als um kurz vor 12:00 Uhr verkündet wird, dass das Rennen nicht pünktlich gestartet werden kann, trifft mich beinahe der Schlag, schließlich stehen wir – man kann es nicht oft genug erwähnen – im gleißenden Sonnenlicht. Weiter oben hat es jedoch Nebel. Die berühmt, berüchtigte Majolaschlange hat zugeschlagen.  Gaaanz toll. Jeder, der schon einmal mit mir bei einem Skirennen war, weiß was nun folgt. Eine Verschiebung. Und noch eine Verschiebung. Und noch eine Verschiebung. Und um 14:15 Uhr schließlich die endgültige Absage des Rennens. F-a-b-e-l-h-a-f-t. So bleibt mein skifahrerisches Highlight an diesem Tag, dass Aleksander Aamodt Kilde auf der Leinwand gezeigt wird, wie er während der Wartezeit eine Plastikflasche so gekonnt durch die Luft wirbelt, dass sie im Anschluss wieder auf dem Boden zum Stehen kommt. Und als Trost der Gedanke, dass eine Absage für mein armes Herz wahrscheinlich besser zu ertragen ist, als ein Ergebnis, das nicht in meinem Sinne ist (und „in meinem Sinne“ kann ruhig sehr eng ausgelegt werden – alles ohne Medaille für Aleks oder Kjetil ist „nicht in meinem Sinne“).

St. Moritz Ski WM Flugshow

M. darf während der ausufernden Wartezeit bei einer Schweizer Jungherrentruppe Glücksfee spielen und zwei Bingozahlen ziehen (ja, die spielen am Berg Bingo. Ich kenne das eigentlich nur aus Seniorenheimen und von (Fluss-)Kreuzfahrten. Und da soll mir noch einmal einer erzählen, es wäre merkwürdig, wenn man bei einem Skirennen ein E-Book liest…).

Nach der Absage ist uns klar, dass ein sofortiger Run zum Shuttle Bus keine Option ist. Also bleiben wir noch ein bisschen auf dem Berg und M. muss leidvoll feststellen, dass es zu der sowieso schon teuren Wurst kein Brot mehr gibt.

Der Versuch, anschließend einen Platz im Shuttlebus zu ergattern, scheitert grandios. Die wartende Menschenmenge ist groß, am Anfang kommen Busse in schneller Taktung, und das sieht alles gar nicht so schlecht aus, aber dann bricht der Busverkehr ab, und wir kommen 10-15 Minuten keinen Millimeter von der Stelle. Also geben wir auf und gehen zurück ins Zielgelände, wo wir uns mit einer Portion Pommes stärken.

St. Moritz Ski WM Zielgelände

Da wir beide genug vom Shuttlebus haben, geht es zu Fuß zurück nach St. Moritz. Mir ist aufgrund der Steilheit und der Rutschgefahr zwar etwas mulmig, aber allemal besser als dieses ewige Anstehen am Bus. Bevor es den Berg hinabgeht, passieren wir einen Hubschrauber, der gerade dabei ist, einen verletzten Skifahrer abzutransportieren. Wie bei den „Bergrettern“! (Ich guck kein Netflix oder Amazon Prime, ich schaue Serien ausschließlich im ZDF und im BR).

Einige Meter später werden wir von Volunteers (die hier Voluntari heißen) aufgefordert, den eigentlichen Weg zu verlassen und einen Abhang querfeldein hinab zu rutschen. Es stellt sich heraus, dass der Fußweg an der Stelle komplett vereist und kurz vorher ein Mann gestürzt ist. Genau der oben von mir erwähnte „Skifahrer“ – der gar keiner war sondern ein Fußgänger.  Den Abhang rutsche ich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Hosenboden hinunter. Was Spaß macht, aber leider dazu führt, dass sich die Batterien meiner beheizbaren Einlegesohlen selbständig machen, weshalb ich zwei meiner teuren „Eneloop“-Akkus verliere. Davon abgesehen kommen wir nach gefühlten 1.000 Stufen gut unten im Tal an, wo wir uns in der
Wohnung erholen und das Biathlonergebnis checken.

Abends haben wir zum Glück reserviert, denn es sind ungefähr 10 x so viele Menschen in St. Moritz unterwegs wie Plätze in Restaurants vorhanden sind. Wir essen leckere Gnocchi in der Pizzeria „Arte“ und auch dort stehen im Minutentakt verzweifelte Menschen auf der Matte, die einen Tisch suchen. Dazu noch ein paar größere Gruppen im Restaurant und der Lärmpegel steigt ins Unermessliche. Ich weiß wirklich nicht, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, die Schweizer seien ruhig und eher „lethargisch“. Hier ging es laut und temperamentvoll zu. War auf alle Fälle ein sehr amüsanter Abend (trotz „King Küng“-Sticker bei uns am Tisch).

Nach einem finalen Spaziergang durch St. Moritz ging unser letzter Abend viel zu schnell zu Ende.

Am darauffolgenden Sonntag sind wir abgereist. Die Abfahrt der Herren wurde zwar an diesem Tag direkt nachgeholt, aber erst so gegen 14:00 Uhr, das wäre inklusive Weg zurück vom Zielgelände viel zu spät geworden. Also haben wir uns die Abfahrt der Damen und die der Herren im Schweizer Radio angehört. Mit dem Ergebnis, dass mir das energische „d’Ilgga Schtuhetsch“ (= die Ilka Stuhec) noch immer im Ohr klingt. Das Ergebnis bei den Herren war so furchtbar für mich, dass ich im Nachhinein froh bin, dass ich es mir nicht live anschauen musste.

Das Gesamtfazit dieses Events lautet auf alle Fälle: was eine geniale Zeit. Und ich bin froh, dass ich einmal für ein paar Tage in der Schweiz gewesen bin, denn trotz, dass man allenthalben zu hören bekommt „die Schweiz ist unbezahlbar“, ist die Landschaft im Engadin genau das: unbezahlbar und unvergleichlich schön.

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