|Wanderlust| Helene Fischer LIVE 2018 in Stuttgart – oder inwiefern ein Konzert an einen katholischen Gottesdienst erinnern kann

Eins vorneweg, ich bin ein „casual fan“ von Helene, der manche Lieder von ihr ganz gerne mag und ihre Disziplin und den Willen, ihren eigenen Weg zu gehen, der darin gemündet ist, Schlagerkonzerte aus der angestaubten Ecke zu holen, bewundert. Ich bin kein „Über-Fan“ (so etwas kenne ich nur im Sport  <3) und bin deshalb mit der Einstellung zu dem Konzert gegangen, dass ich gerne gut unterhalten und von Helene und der Stimmung der Zuschauer in der Halle mitgerissen werden möchte. Meine Erwartungen waren nicht allzu hoch, da die Leute aus meinem Umfeld, die bereits in den vergangenen Monaten auf einem Konzert dieser Tour waren, genau die Dinge als Highlights beschrieben haben, die mich so überhaupt nicht interessieren und die meiner Meinung nach bei einem Konzert auch nicht im Fokus stehen sollten. Aber dazu später mehr. 

Da ich das bei anderen Events in der Vergangenheit schon heftig kritisiert habe, muss ich zu Beginn lobenswert die Organisation erwähnen. Sowohl das Parken als auch der Einlass und die damit zusammenhängenden Kontrollen haben super geklappt. Es waren ausreichend Eingänge offen und das Personal hat schnell und effektiv gearbeitet. Dafür einen Daumen nach oben.

Da es bei den Konzerten von Helene Fischer – wahrscheinlich der Altersstruktur des Publikums geschuldet – nur einen minikleinen Stehplatzbereich gibt, hatten wir Sitzplätze auf den Rängen. Diese waren mittig (quasi parallel zum „Laufsteg“), relativ weit unten und trotzdem im abgeschrägten Bereich, weshalb wir eine super Sicht hatten. Apropos Publikum, das war bunt gemischt mit überraschend vielen Kindern aber insgesamt einer Tendenz zur Altersgruppe Ü65.

Helene Fischer Live Stuttgart 2018

Besagtes „80er-Jahre-Eisprinzessinnen-Gedächtniskostüm“

Und dann kam Helene. Ihr 80er-Jahre-Eisprinzessinnen-Gedächtniskostüm hatte ich bereits vorab auf Bildern gesehen, aber auch live und in Farbe schrie es quasi Katarina Witt bei den Olympischen Spielen 1988 in Calgary . Vielleicht wollte Helene hier unerfüllte Träume ausleben. Ihre Disziplin erinnert mich definitiv an russische Eisprinzessinnen oder russische rhythmische Sportgymnastinnen. Wer nicht weiß, was ich meine, kann gerne einen Blick in dieses Video werfen. Da können die verwöhnten Millionäre aus gewissen anderen Sportarten einpacken.

Wie fand ich den ersten Teil der Show? Nun ja, wenn ich mir im Nachhinein die Setlist anschaue, scheint die gar nicht so balladenlastig zu sein, wie ich es empfunden habe. Aber genau das, war für mich das Problem in der ersten Hälfte: immer wenn die Stimmung durch einen mitreißenden, eher „schlagerlastigen“ Song angeheizt und das Publikum buchstäblich von den Sitzen gerissen wurde – wie z.B. durch „Mit keinem anderen“, folgte prompt ein längerer Block mit Balladen. Mit der Folge, dass das Publikum gemächlich die Sitze wieder heruntergeklappt hat, um sich hinzusetzen. Gähn. Und das ist der Punkt, in dem mich das Konzert an einen katholischen Gottesdienst erinnert hat. Da steht und sitzt man auch im Wechsel (nur das Knien hat gefehlt).

Die Tänzer und Akrobaten fand ich besonders ermüdend. Ich weiß, dass mir hier viele widersprechen werden, aber wenn ich Karten für ein Konzert kaufe, muss für mich zwingend die Musik im Mittelpunkt stehen. Da brauche ich keine minutenlangen Performances von irgendwelchen an der Decke baumelnden Menschen, die ich nicht kenne. Das habe ich vor 15 Jahren schon beim Eiskunstlaufen zu genüge gesehen (siehe hier, die schon damals meiner Meinung nach den wirklichen Eisläufern in Shows unnötig Zeit wegnehmende Debbie Park). Selbst wenn ich Akrobatik positiver gegenüber stehen würde, war es einfach zu viel. Das gilt auch für Helene selbst, denn ich denke, wir wissen mittlerweile alle, dass sie an Seilen schweben und gleichzeitig singen kann. Von daher kann ich dabei in der gefühlt 100. Variante keinen Mehrwert erkennen.

Die Tänzer, die mich wahlweise an das MDR-Fernsehballett (das komischerweise alle immer so angestaubt finden) und die bei mir einen absoluten Fremdschäm-Reflex auslösenden „Chippendales“ erinnert haben, hatten für meinen Geschmack auch viel zu viel Auftrittszeit.

Dabei hat Helene dieses ganze Drumherum so etwas von gar nicht nötig, denn im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, singt sie live fantastisch, und man hört überhaupt keinen Unterschied zu ihren Studioaufnahmen. Da gibt es andere Kaliber, bei denen man sich live fragt, ob das wirklich ein und dieselbe Person sein soll. An der Stelle bin ich wirklich tiefbeeindruckt und glaube nicht, dass es im deutschsprachigen Raum eine Künstlerin gibt, die hier qualitativ auch nur annähernd mithalten kann.

Mein persönliches Highlight des ersten Teils war „Und morgen früh küss ich Dich wach“, denn da war die Stimmung fantastisch. Außerdem muss ich zugeben, dass ich die schlagermäßigen, älteren Songs von ihr einfach mag. Das sind für mich Party-Songs, die Spaß machen, mitreißen und total kurzweilig sind.

Joah, zu schade, dass direkt im Anschluss der Schilf auf die Bühne gekarrt (=romantische Deko) und ganz tief in die Rührseligkeiten-Schublade gegriffen wurde. Spätestens, als von „Kindern – oder Zauberwesen, wie ich sie nenne“ die Rede war, bin ich ausgestiegen. Das war zu viel „kitsch as kitsch can“ für jemand wie mich, der in der Abi-Zeitung mit dem Satz „So viel Romantik am Morgen, das hält koi Sau aus…“ zitiert wurde. Die anschließende Transformation von Helene in einen menschlichen Springbrunnen (wer kommt bitte auf solche Bühnenbildner-Ideen? Und muss man dazu die entsprechenden Substanzen beim Schneider eines gewissen volkstümlichen Moderators und Boygroup-Mitglieds kaufen und konsumieren?) konnte da auch nichts mehr retten. Falls es wirklich Leser gibt, die solche Kostüme faszinierend finden, möchte ich zu meiner Entschuldigung vorbringen, dass meine Abneigung der Tatsache geschuldet sein mag, dass ich bei einer Norwegenrundreise den ein oder anderen Wasserfall zu viel gesehen habe…

Helene Fischer Live Stuttgart 2018 Hallentour

Nach der Pause fing es mit dem aus „Hundert Prozent“ / „Du fängst mich auf und lässt mich fliegen“ / „Von hier bis unendlich“ / „Die Hölle morgen früh“ bestehenden Schlager-Medley richtig stark an und die Menge hat getobt und getanzt. Hier gab es auch endlich einmal einen sinnvollen „Special Effect“, als der Laufsteg mit Helene nach oben geschwebt ist. Ich habe besonders genossen, dass sie dabei ALLEINE war und niemand um sie herum gehampelt ist. Genau in dem Moment wurde für mich überdeutlich, dass sie das ganze Drumherum überhaupt nicht nötig hat und allein problemlos die nötige Bühnenpräsenz aufbringt.  Die Hochstimmung konnte man so natürlich nicht lassen. Da musste dringend etwas Ruhe reingebracht werden. Also erst mal ein bisschen Gerede und ein paar langsame Balladen, um die Zuschauer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Gähn.

Gut gefallen hat mir der kleine Country-Teil mit „Dein Blick“ und „Mit dem Wind“. Ich finde, diese Stilrichtung passt zu Helene. Da sie sich offensichtlich vom Schlager wegbewegen möchte, wäre das ein cooler Musikstil für sie, in dem sie mehr machen und experimentieren sollte.

Auch den Schlussteil mit „Wir brechen das Schweigen“, „Achterbahn“ und „Flieger“ fand ich stark, obwohl ich kein großer Fan des neuen Albums bin (mein Favorit ist das Weihnachtsalbum, denn das ist so hochwertig und liebevoll gemacht, dass es für mich jetzt schon ein Klassiker ist, den man auch noch in 10, 20 Jahren zur Weihnachtszeit hören wird. Ich liebe vor allem die eher sakralen Lieder wie „Adeste Fideles“ und „Maria durch ein Dornwald ging“). Mich hat der Mix der Songs mit einem starken Beat mitgerissen. Hier hat mich auch nicht sonderlich gestört, dass Helene noch einmal ihr ganzes Fitnesspotential zeigen wollte und einarmig Liegestütze auf der Bühne zelebriert hat (kam bei anderen aus unserer Gruppe nur semi-gut an).

Zum krönenden Abschluss und als Zugabe durfte „Atemlos“ nicht fehlen. Allerdings in einer „romantischen“ Version inklusive Schaukel, was mich an meine Kindheit und „Lucilectric“ denken ließ.

Mein Fazit des Abends fällt durchwachsen aus. Es gab einige Highlights aber keinen sinnvollen, zu einem Höhepunkt hinführenden Spannungsaufbau. Aufkommende Stimmungshochs wurden umgehend durch Umziehpausen / Akrobaten / Tänzer / Balladen / Anmoderationen zunichte gemacht. Ganz ehrlich, hätte ich vorher gewusst, dass ich eine halbe Karte für „Cirque du Soleil“ kaufen würde, hätte ich mir kein Ticket zugelegt. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich mich am Ende von 2018, wenn ich über meine Jahreshighlights nachdenke, gerne an „Mit keinem anderen“, „Und morgen früh küss ich Dich wach“ und das Schlager-Medley erinnern werde.

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