|Sportsgeist| Stefka… schaut Sport – Teil 1

Es ist Samstagmorgen. Ich wache auf. Mir ist leicht schlecht. Vor Aufregung. Denn heute beginnt die neue Weltcupsaison im Ski alpin mit den Speedwettbewerben in Lake Louise/Kanada. 

Es ist Samstagabend. Ich sitze auf dem Boden in meinem alten Kinderzimmer daheim bei meinen Eltern. Ich kann mein Glück kaum fassen. Hinter der Zeit von Aksel Lund Svindal leuchtet die „1“ auf. 

Ich schreibe diesen Blogbeitrag, damit die Nichtsportfans in meiner Umgebung einen Einblick bekommen, was es bedeutet, Sportfan zu sein. Und die „normalen“ Sportfans sollen verstehen, was es heißt, ein Über-Fan zu sein.

Ich liebe Sport. Und hiermit meine ich in diesem Fall nicht selbst aktiv zu sein. Das mag ich mittlerweile auch ganz gerne (und das ich, die in Sport in der Schule immer nur „ausreichend“ war, mit Ausnahme der allerletzten Note in 13/2, da hatte ich 7 Punkte, weil ich immer bemüht war und nie geschwänzt habe. Also auch nicht wegen Können sondern wegen Anwesenheit. Manchmal würde ich gerne meine ehemaligen Sportlehrer treffen und ihnen erzählen, dass ich einen Halbmarathon gefinisht habe), aber an dieser Stelle soll es um Sport als Zuschauer gehen.

Wahrscheinlich bin ich durch meine Mama erblich vorbelastet. Die schaut besonders gerne Fußball, aber in jungen Jahren ist sie auch für die Kämpfe von Cassius Clay mitten in der Nacht aufgestanden. So kam es, dass ich bereits im zarten Alter von sechs Jahren meine ersten Olympischen Spiele verfolgt habe. Obwohl der durch Magdalena Neuner initiierte Über-Hype damals noch meilenweit entfernt war, hat mich Biathlon tief beeindruckt und ich habe es „nachgespielt“. Zwei normale Kleiderbügel habe ich als Skistöcke benutzt und einen Hosenbügel habe ich mir auf den Rücken gespannt. So bin ich auf Strümpfen über den Marmorboden geflitzt und habe am Ende des Ganges im Zimmer meines Bruders auf den Heizkörper „geschossen“.

Mein erster richtiger Lieblingssportler war Pirmin Zurbriggen. Ich habe keine Ahnung, was mich ausgerechnet an einem Schweizer Skifahrer so beeindruckt hat, wobei ich auch in der Folge einen Hang zu schweigsamen Athleten hatte. Wäre ich älter, wäre vermutlich Ingemar Stenmark mein absoluter Lieblingssportler geworden. Wahrscheinlich habe ich mich auch für Zurbriggen entschieden, weil ich sowohl Marc Giradelli als auch Alberto Tomba doof fand.

Man merkt, ich hatte bereits in jungen Jahren einen Hang zum Wintersport, wobei ich auch keine Olympischen Sommerspiele verpasst habe. Meine Lieblingssportarten waren lange Kunstturnen und die Rhythmische Sportgymnastik. Lilia Podkopayevas mitreißende und witzige Bodenkür von 1996 oder die eleganten Programme von Alexei Nemov (der leider mittlerweile das Schicksal vieler ehemaliger männlicher russischer Spitzensportler teilt und wie ein Hefekloß auseinander gegangen ist) werde ich genauso wenig vergessen wie die Übungen von Alexandra Timoshenko, Maria Petrova, Yulia Barsukova und Anna Bessonova in der Rhythmischen Sportgymnastik.

Meine Bilder von den Weltmeisterschaften in der Rhythmischen Sportgymnastik in Stuttgart in 2015

Die Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik verfolge ich ebenfalls mit Begeisterung. Wer erinnert sich noch an den aus den USA stammenden Hype um die Schwimmer während der Olympischen Spiele von 2004 in Athen?! Der ist damals sogar über das Eiskunstlaufforum „Figure Skating Universe“ hereingebrochen. Bezüglich der Leichtathletik ist eine meiner frühesten Erinnerungen der Zehnkämpfer Siggi Wentz. Für den hat sich meine Mutter damals begeistert. Unweigerlich muss man in diesem Zusammenhang auch an das Fehlstartfiasko von Jürgen Hingsen denken. Obwohl ich überhaupt nicht nationalistisch veranlagt bin (im Gegenteil, mir geht jeglicher Über-Hype von nationalen Athleten dermaßen auf den Keks, dass ich mich meist mehr mit ausländischen Sportlern denn einheimischen Athleten identifizieren kann), ist eine meiner liebsten Leichtathletikerinnerungen jener legendäre Abend in Barcelona 1992 als Dieter Baumann und Heike Henkel innerhalb kurzer Zeit beide die Goldmedaille gewonnen haben. Natürlich mit dem legendären Kommentar von Gerd Rubenbauer und Dieter Adler („eine Lücke tut sich auf!“).

An dieser Stelle soll auch der Fußball nicht unerwähnt bleiben. Am Anfang konnte ich die Begeisterung meiner Mutter für diese Sportart nicht nachvollziehen und habe mich höchstens über seltsame Namen wie Rummenigge (konnte ich mich als Kind drüber totlachen) amüsiert. Mein erster, bewusst verfolgter Fußballevent war die WM 1990. Perfekte Wahl, würde ich sagen. Bei vielen wichtigen Fußballmomenten in der Folge weiß ich auch heute noch, was ich gemacht habe. Golden Goal EM 1996: Stefka ist müde und genervt und putzt sich deswegen just in dem Moment die Zähne… Viertelfinale 2006 Deutschland gegen Argentinien: Stefka ist genervt und kommt deshalb im Moment des Ausgleichs aus der Küche und hält zur Versorgung ihrer Gäste einen Teller mit einem Kirschplunder in der Hand. WM 2014: ganz Deutschland feiert und Stefka sitzt in Geilo/Norwegen, weil bei Buchung der Reise an Silvester 2013 niemand an eine Finalteilnahme Deutschlands geglaubt hat. Ja, das „Deutschland im Finale“-Szenario wurde bei der Auswahl des Reisezeitpunkts diskutiert und als unrealistisch abgetan. Von wegen eine europäische Mannschaft hat noch nie etwas gerissen in Südamerika und so. Hrmpf. Ansonsten möchte ich an der Stelle erwähnen, dass ich nie Fan einer bestimmte Bundesligamannschaft geworden bin. Wenn, dann mag ich bestimmte Fußballer (Christoph Metzelder z.B.). Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem einem die Trainer näher stehen als die Spiele (Thomas Tuchel).

Originalunterschrift von Ekaterina Gordeeva in meiner Ausgabe von „My Sergei“

Trotzdem schlägt mein Herz am meisten für die Wintersportarten, und ich war ab Anfang der 1990er bis ca. 2006 großer Eiskunstlauffan. Auslöser waren das russische Paarlauftraumpaar Ekaterina Gordeeva & Sergei Grinkov und der ukrainische Einzelläufer Viktor Petrenko. An Petrenko haben mich in jungen Jahren vor allem sein Kurzprogramm zu „Let’s Twist Again“ und seine Kür zu „Rigoletto“ beeindruckt. Mir hat bei beiden Programmen die schnelle, mitreißende Musik und die Interpretation derselben gefallen. Gordeeva & Grinkov sind für mich auch heute noch das Nonplusultra, wenn ich an das Paarlaufen denke. Die beiden haben einfach die vollendete Harmonie ausgestrahlt und sind in meinen Augen der Höhepunkt der russischen (sowjetischen) Paarlaufperfektion und ihre Kür zur Mondscheinsonate das schönste Programm „ever“. Als eine eher peinliche Jugendsünde würde ich meine Begeisterung für den Franzosen Philippe Candeloro einordnen.

Die Olympischen Spiele von Lillehammer sind für mich noch immer das schönste und größte was ich jemals im Sport miterleben durfte. Auf das Eiskunstlaufen bezogen wurde das Comeback von Gordeeva & Grinkov leider durch eine nervige Diskussion über die Kürbewertung getrübt, weshalb eiskunstläuferisch für mich für immer der Abend der Damenkür das absolute Highlight bleiben wird. Jedoch nicht wegen der Soap Opera „Kerrigan vs. Harding“ (an die sich bedauernswerterweise auch heute noch jeder Nichteiskunstlaufinteressierte in Deutschland erinnert…) sondern wegen Oksana Baiul aus der Ukraine. Sie hat mich bereits in der Saison zuvor begeistert und an diesem Abend hat sie für mich die mitreißendste Kür auf das Eis gezaubert. Ich kann mich lebhaft daran erinnern, wie ich bei der Notenvergabe mit ihr gezittert habe. Im Nachhinein wäre es für ihren weiteren Lebensweg vermutlich besser gewesen, sie hätte diese Goldmedaille nicht mit 16 Jahren gewonnen. Aber an diesem Abend war ich einfach nur super glücklich über das Ergebnis.

Allgemein war ich im Eiskunstlaufen nie Fan der „everybody’s darlings“. Aus diesem Grund sind Grishuk & Platov meine absoluten Lieblingseistänzer. Deren Tango OD aus der Saison 1996-97 ist noch immer mein Lieblingseistanzprogramm aller Zeiten. Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern, denn für mich gibt es wenig langweiligeres als das Eistanzen der letzten fünf Jahre.

Neben der zweiten Goldmedaille für Grishuk & Platov war die Kürentscheidung der Herren mein Highlight bei den Olympischen Spielen von Nagano. Den Samstagnachmittag (zumindest bin ich mir ziemlich sicher, dass die Herrenkür an einem Samstag stattgefunden hat), an dem der sonst immer super nervöse und unbeständige Ilia Kulik eine perfekte Kür gelaufen ist, werde ich nie vergessen. Ich gebe zu, die Niederlage von Elvis Stojko, dessen sportlicher Laufstil mich nie überzeugen konnte, hat einen klitzekleinen Teil zu meiner Begeisterung beigetragen.

Meine nächste ganz, ganz große Eiskunstlaufliebe nach Gordeeva & Grinkov waren Elena Berezhnaya & Anton Sikharulidze. Natürlich ebenfalls aus Russland, denn an die russische Paarlaufschule kommt definitiv niemand heran. So sehr ich die beiden mochte, ihre Karriere in den Jahren 1997 bis 2002 war auch eine wahre Achterbahnfahrt für mich als Anhänger der beiden und diese Zeit möchte ich definitiv nicht noch einmal durchmachen. Klar, es gab tolle Höhepunkte (wie ihr „Lady Caliph“-Kurzprogramm während der Olympischen Spiele in Vancouver) aber gefühlt wogen die Tiefpunkte umso schwerer: eine Sturzorgie in der Kür bei ihrer ersten gemeinsamen WM in 1997, der Sturz bei der letzten Hebung während der Olympischen Spiele in Nagano, eine unwürdige Notendiskussion im Anschluss an ihren WM-Titel 1999, das legendäre Lifetime-fluff-piece, in dem Anton sein Oberteil wegschmeißt, der positive Dopingbefund wegen eines Hustenmittels von Elena im Jahr 2000, die knappe WM-Niederlage in 2001 und schließlich das Schlimmste, was ich je als Sportfan erleben musste: der umstrittene Sieg bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City und die anschließend von den nordamerikanischen Medien inszenierte Schlammschlacht, die in einer zweiten Goldmedaille für ihre Konkurrenten Sale & Pelletier resultiert hat. Diese zwei, drei Wochen sind unvergesslich für mich, denn ich habe gelitten wie ein Hund. Auch die Freudentränen, als der erste positive Bericht über Berezhnaya & Sikharulidze in Zusammenhang mit dem Skandal in den Medien erschienen ist, haben sich mir unwiderruflich eingebrannt. Das ganze hat mich so stark geprägt, dass ich es bis heute nicht übers Herz gebracht habe, mir meine Aufnahmen von der letzten Gruppe der Paarlaufkür anzuschauen. Ich weiß auch nicht, ob ich jemals soweit sein werde.

 

Romaniuta & Barantsev (Foto Copyright Takami H.) | Volosozhar &
Kharchenko (Foto Copyright Tove S.) | Grishuk & Platov (Foto copyright Marie L.)
| Berezhnaya & Sikharulidze (Foto copyright Takami H.)

Im Anschluss an die Saison 2001-02, in der ich mit der Eiskunstlauf-Europameisterschaft in Lausanne meinen ersten großen Live-Event besucht habe, habe ich meine Leidenschaft für das Besuchen solcher Meisterschaften entdeckt. In der Folge habe ich zusammen mit Kerstin und wechselnden weiteren Freunden, die ich über das Internet kennengelernt habe, einige legendäre Stunden beim Bofrost Cup in Gelsenkirchen (ja, auch Gelsenkirchen kann ein Party-Hotspot sein…), bei der WM 2004 in Dortmund (durch das Eiskunstlaufen habe ich das Ruhrgebiet besser kennengelernt als so mancher Fußballfan), der EM 2005 in Turin, der EM 2006 in Lausanne und der Junioren-WM 2007 in Oberstdorf verbracht. Wir hatten immer eine geniale Zeit bei solchen Events. Wobei das nicht zwingend am großartigen dargebotenen Sport gelegen hat (wer sich an die Damenkür bei der EM 2005 in Turin erinnert, weiß wovon ich rede…), sondern eher an den anderen Fans, mit denen man dort Zeit verbracht hat.

Berezhnaya & Sikharulidze (Foto copyright Takami H.)

Nach Karriereende von Berezhnaya & Sikharulidze hatte ich noch die einen oder anderen Lieblingsläufer, aber absolute Favoriten waren nicht mehr dabei. Zum einen haben die Läufer, die mir gefallen haben, nicht den ganz großen Durchbruch geschafft (Yulia Obertas & Sergei Slavnov oder Yana Kokhlova & Sergei Novitsky) und zum anderen hat sich das Eiskunstlaufen u.a. aufgrund des neuen Wertungssystems peu à peu verändert, weshalb mich die meisten Programme und Läufer langweilen. Das einzige Event, das ich in den letzten Jahren regelmäßig besucht habe, ist die Nebelhorn Trophy, wobei dies nicht unerheblich mit Oberstdorf als Austragungsort zusammenhängt. Unkomplizierte Anreise, leckeres Essen und vielfältige Wandermöglichkeiten – was will man mehr.

Fotos (von mir) von meinem Lieblingseiskunstlaufwettbewerb, der Nebelhorn Trophy: Elena Radionova | Tomas Verner

Tatjana Volosozhar & Maxim Trankov waren in den letzten Jahren die einzigen Eiskunstläufer, für die ich so etwas wie eine Fanliebe entwickelt habe. Sie betreiben meine Lieblingsdisziplin Paarlaufen, haben einen unglaublich hohen dreifachen Wurflutz (mein Lieblingselement, sofern er nicht in der chinesischen Version ausgeführt wird) und lassen einen an die große Liebe glauben…

Volosozhar & Trankov during various Nebelhorn Trophy comepetitions

Dies ist der erste Teil meines Berichts zum Thema „Stefka… schaut Sport“. Teil 2 mit meinen aktuellen Lieblingssportarten folgt im neuen Jahr.

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