|Wanderlust| Städtereise Oslo im Winter – Tag 5 | Massenstart Damen und Herren

Manchmal geht es mir bei winterlichen Sportevents so, dass ich nach ein paar Tagen keine Lust mehr habe, mich in die Skihose zu zwängen und die dicken Schuhe inklusive wärmender Einlegesohlen anzuziehen. So ein Tag war heute. Vor allem, da ich keine Ahnung hatte, was auf mich zukommen würde, denn ich hatte noch nie einen Stehplatz im Gelände.

 

Blick von unserem Balkon im „Barcode“

 

Blick von der Dachterrasse im „Barcode“

 

Nach einem leckeren Frühstück im „Espresso House“ (laut meiner Mitreisenden schmeckt der Kaffee in Norwegen sehr gut – ich kann das nicht beurteilen, denn meine Versuche mit Kaffee kann ich an einer Hand abzählen. Inkl. der Male, wo ich versehentlich zu einer Kaffeecreme gegriffen habe, in der Annahme, es würde sich um Mousse au Chocolat handeln) machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Ich hatte am Tag vorher eine warnende E-Mail vom Veranstalter erhalten, dass sehr viele Zuschauer erwartet würden, weshalb man frühzeitig anreisen sollte. Unser Zustieg am Hauptbahnhof war jedoch völlig unproblematisch. Im weiteren Verlauf stiegen einige weitere Sportfans zu, weshalb wir an drei verschiedenen Ecken im Eingangsbereich standen, eine jüngere, deutsch-finnisch gemischte Herrengruppe zwischen uns gedrängt. Mit Deutschlandflagge und Wikingerhelm. Das hat einem älteren Norweger gefallen. „Ah, deutsche Wikinger!“ Die Jungs haben zunächst nicht kapiert, dass wir deutsch sind (was eine Erleichterung, wir sehen also nicht typisch deutsch aus…), wobei einer meinte: „Aufpassen was ihr sagt, ich glaube, wir werden verstanden!“ Ich musste mich sehr zusammenreißen, dass ich nicht laut los lache. Die Jungs haben ziemlich viel Quatsch geredet (u.a. über versaute, auf Facebook geteilte Videos, die nur Männer liken), was ihnen sehr peinlich war, als sie am Ende kapiert haben, dass wir Deutsche sind. Da muss man in Norwegen sowieso vorsichtig sein. Zum einen verstehen auch die Norweger Deutsch (wohl kaum unseren Dialekt, aber die Jungs haben reines Hochdeutsch geredet) und zum anderen wimmeltes vor deutschen Touris. Insbesondere zur Biathlon WM.

 

Schneemänner an der Piste

 

Nach dieser äußerst kurzweiligen Bahnfahrt, die mich an eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einem Bundesligaspiel erinnert hat (minus die besoffenen Fans), haben wir einen Zwischenstopp zum Kauf von norwegischen Fähnchen eingelegt (man kann nie wissen, ob man nicht doch mal wieder bei einem Ski alpin Event landet). Anschließend haben wir unseren Stehplatz am Kapell Skogen (Wald an der Holmenkollen Kapelle) gesucht. Das hat mir sofort gefallen. Mitten im Wald, nicht so beengt wie auf der Tribüne, freie Platzwahl, hauptsächlich Einheimische. Wir haben uns Plätze direkt am Zaun an einem Anstieg gesucht. Das war ein genialer Platz zum Fotografieren. Man hat die Sportler so nahe gesehen, dass mein Zoomobjektiv zu stark gezoomt hat (ich hätte also nur Portraits schießen können), weshalb ich mit meinem „Immerdrauf“ fotografiert habe. Ich fand es auch total spannend zu sehen, wie die Biathleten sich einlaufen (die meisten haben zwei Runden gedreht, nur der „alte Mann“ hat sich auf eine Runde beschränkt). Oder wie die Betreuer das Wachs testen und dabei sogar die Ski von rechts nach links wechseln. Mir war auch nicht bewusst, dass es beim Biathlon einen Trupp Vorläufer kommt.

Bereits das Damenrennen war unterhaltsam und spannend anzusehen. Obwohl wir keinen Blick auf eine Leinwand hatten, konnte man sich anhand der Zuschauerreaktionen und der Kommentatoren, die man über Lautsprecher hören konnte, gut zusammenreimen, wie der Zwischenstand nach dem jeweiligen Schießen war.

Nach dem Damenrennen war eine längere Pause, in der wir uns auf dem Gelände umgesehen haben. Hierbei entdeckten wir, dass zum Kapell Skogen auch ein Blick ins Tal mit Blick auf eine große Leinwand gehört. Dort kampierten viele Norweger auf Strohballen oder Holzstämmen, es wurde gegrillt und selbst Babys waren dabei. Ein Junge im Kindergartenalter lag eingemummelt auf dem Boden und schlief. Genauso hatte ich mir das seit den Olympischen Spielen 1994 vorgestellt. Das war wirklich was ganz besonderes. So etwas gibt es, denke ich, in keinem anderen Land.

Man hat schnell gemerkt, dass das Herrenrennen noch mehr Zuschauer angelockt hat. Deshalb bezogen wir wieder unsere Plätze am Zaun und setzten uns auf Sitzkissen auf den Boden, um die restliche Wartezeit totzuschlagen.

 

Engagierte Fans

 

Das Rennen der Herren war absolut genial. Viel spannender als die Damen, bei denen das Feld bereits nach dem ersten Schießen auseinandergezogen war. Außerdem stand gegenüber von uns ein unterhaltsamer Trupp norwegischer Jungs, der bereits beim Einlaufen für Stimmung gesorgt hat. Beim Skiwechsel der Betreuer haben sie mitgezählt („1,2,3,4,5,6,7! Good job!“) und dem armen Fourcade haben sie „Escargot!“ hinterher gerufen. Die Zuschauer waren allgemein der Hammer, man glaubt nicht, was für ein Lärm zu uns vom Stadion und vom VM Haugen heraufgeschallt ist. Das war absolut großartig. Witzig war auch, dass die Zuschauer im Kapell Skogen angefangen haben, nach dem Anfeuern auf unserer Seite zurück zur Leinwand auf der anderen Seite durch den Wald zu rennen. Es war elektrisierend. Wozu das Ergebnis natürlich zusätzlich beigetragen hat. Endlich ein Endstand nach meinem Geschmack, wobei ich mich mental bereits auf eine neuerliche Enttäuschung eingestellt hatte: Johannes Thingnes Bø mit Gold (ich habe eine Schwäche für Rothaarige, geht wahrscheinlich auf Dieter Thoma zurück, einen meiner ersten Lieblingssportler) und Ole-Einar Bjørndalen mit Bronze. Sooo genial… Wir haben uns die Siegerehrung, den Besuch beim König und die Closing Ceremony auf der großen Leinwand angeschaut. Dann war es leider an der Zeit, zurück ins Tal zu wandern. Nach einem Zwischenstopp im Fanshop (Ausverkauf! Zustände wie früher beim SSV) sind wir mit der Bahn zurück in die Stadt. Seufz. Somit war das Abenteuer Holmenkollen offiziell vorbei.

 

Ein architektonisches Meisterwerk: die Skischanze am Holmenkollen

 

Kapelle auf dem Holmenkollen

 

Abends hatten wir nach 21:00 Uhr Probleme, etwas zum Essen gehen zu finden. Schließlich sind wir im „Hard Rock Café“ gelandet. Da war es dank Klimaanlage kälter als am Holmenkollen oder in Kvitfjell und somit authentisch amerikanisch.

Während ich diesen Text tippe, sitze ich bereits in Hamburg am Flughafen und warte auf den Anschlussflug. Nach Fourcade und Dorin Habert hatte ich ein weiteres Franzosenerlebnis. Mein Rucksack wurde bei der Kontrolle rausgezogen (kann man sich bitte einmal weltweit einigen, ob es notwendig ist, dass man eine Spiegelreflex bei der Sicherheitskontrolle auspackt???). Vor mir war ein Franzose an der Reihe, dessen Rucksack ebenfalls mehrfach gecheckt werden musste. Der hat den ganzen Verkehr aufgehalten, weil er dem Sicherheitsmann unbeantwortbare Fragen in schlechtem Englisch gestellt hat („Wenn ich nächste Woche zurückfliege, wird es reichen, innerhalb einer Stunde durch die Sicherheitskontrolle zu kommen?“). Ich war mega genervt, weil ich meinen Rucksack zurück haben wollte. Das hat der Franzose irgendwann gemerkt, und er hat seinen Plausch beendet. Nicht ohne dem Sicherheitsmann mit auf den Weg zu geben, er solle mich doch um ein Lächeln bitten. Ich dachte, ich explodiere gleich. Wenn ich eins hasse, dann sind es Leute, die meinen, ich würde auf Bestellung lächeln. Wenn ich genervt bin, bin ich genervt. Außerdem hat mir niemand zu sagen, wie ich gucken soll.

Mein Fazit dieser Reise:

– Nie mehr Stehplatz Tribüne! Entweder Sitzplatz Tribüne oder Stehplatz im Wald.

– Ich werde das Englisch sprechen vermissen.

– Ich verstehe viel mehr Norwegisch als vor zwei Jahren.

– Ich vermissen den Schnee, den Hafen, den Holmenkollen und die Entspanntheit.

– Das Zahlen mit Kreditkarte werde ich ebenfalls vermissen. So unkompliziert. Aber das wird sich in Deutschland so wenig durchsetzen wie ein Tempolimit auf Autobahnen.

– NORGE, ich komme wieder…

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