|Leseliebe| „Eiszeiten – vom Ehrgeiz getrieben“ von Ingo Steuer

Ich weiß, der eine oder andere aus meinem „real life“, der hier mitliest, wird grinsen oder sich eventuell wundern, warum ich dieses Buch gekauft und gelesen habe. Ja, ich muss ehrlich zugeben, ich war nie der größte Fan von Ingo Steuer. Nicht zu seiner aktiven Zeit mit Mandy Wötzel und erst recht nicht seit Beginn seiner Karriere als Coach. Seine Erfolge möchte ich hierbei nicht in Abrede stellen, aber als er mit Mandy gelaufen ist, war ich viel zu sehr „Team Gordeeva & Grinkov“ und „Team Berezhnaya & Sikharulidze“, als dass ich mich für Wötzel & Steuer hätte begeistern können. Die russische Paarlaufschule ist einfach tief in meinem Herzen verankert und wird für mich immer das Nonplusultra bleiben. Als Trainer ist mir Ingo eine Spur zu besessen. Natürlich muss man seine Schützlinge fordern und an ihre Grenzen bringen, aber bei Ingo Steuer hatte ich manches Mal das Gefühl, dass er einen Schritt zu weit gegangen ist. Trotzdem wollte ich diese Biografie lesen, um mir ein besseres Bild von seinem Charakter machen zu können. So ist das Buch schon vor einigen Monaten bei einer größeren Buchbestellung in meinen Einkaufskorb gewandert und anschließend erst einmal in meinem Stapel ungelesener Bücher auf dem Nachtisch versauert. Eigentlich rühme ich mich damit, keinen wirklichen SUB zu besitzen, aber in den letzten Monaten hat sich neben meinem Bett ein kleiner Turm aufgebaut, weshalb ich nun die Notbremse gezogen habe und erst einmal diesen Stapel abbauen werden.

 

"Eiszeiten - vom Ehrgeiz getrieben" von Ingo Steuer

„Eiszeiten – vom Ehrgeiz getrieben“

  • Ingo Steuer
  • Biografie
  • Deutsch
  • 3 Sterne (von 5 möglichen Sternen)

Ingo Steuer ist der bekannteste deutsche Paarläufer der 90er Jahre. Gemeinsam mit seiner Partnerin Mandy Wötzel wurde er 1995 Europameister, 1997 Weltmeister und hat bei Olympia 1998 die Bronzemedaille gewonnen. Das Traurige an einer Randsportart ist jedoch, dass die die breite deutsche Öffentlichkeit ihn nicht mit diesen Erfolgen in Verbindung bringt, sondern bei Erwähnung seines Namens entweder ausruft „ach, das ist doch der, der bei den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer seine Partnerin nach einem Sturz vom Eis getragen hat!“ (ja, genau bei den Spielen, bei denen Eiskunstlaufen in Deutschland zum letzten Mal eine richtig große Nummer war – dank des Comebacks von Kati Witt und des Eisenstangeattentats von Tonya Harding auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan) oder sich daran erinnert, dass er bei der Stasi war.

In der Biografie arbeitet Ingo Steuer sein Leben in chronologischer Reihenfolge auf. Er erzählt, wie er bereits als kleiner Knirps in der Chemnitzer Eishalle der Faszination Eiskunstlauf verfallen ist, wie er zunächst unbedingt ein erfolgreicher Einzelläufer werden will, und wie er so unmerklich in die Mühlen des DDR-Sportsystems gerät. Nach seinem unfreiwilligen Wechsel zum Paarlauf stellen sich schnell erste Erfolge ein, und er wird mit seiner ersten Partnerin Manuela Landgraf in Japan Juniorenweltmeister. Manuelas Körper ist jedoch den Strapazen einer Paarläuferin nicht gewachsen, und Ingo landet nach einer kleinen Odyssee schließlich bei seiner Traumpartnerin Mandy Wötzel. Für ein halbes Jahr sind sie auch privat ein Paar, danach nur noch auf dem Eis. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ex-Lovern. Später wechselt Ingo hinter die Bande und wächst langsam in seine Rolle als Trainer hinein. Es ist ein Geschenk des Himmels für ihn, als das ukrainische Supertalent Aljona Savchenko auf der Suche nach einem neuen Eislaufpartner nach Chemnitz wechselt. Ingo Steuer stellt ihr den deutschen Paarläufer Robin Szolkowy an die Seite, und die drei verschmelzen zu einer Trainingsgemeinschaft, die durch die Aufdeckung von Ingos Stasi-Vergangenheit und den damit einhergehenden Rechtsstreitigkeiten noch enger zusammenwächst. „Allein gegen den Rest der Welt“ scheint das Motto der drei zu sein. Nach mehreren Weltmeistertiteln und der enttäuschenden Bronzemedaille bei den Olympischen Spiele 2010 in Vancouver endet das Buch mit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2014 in Sotchi.

Für mich bietet dieses Buch einen interessanten Einblick in die Lebenswelt eines Kinds des DDR-Sports. Ich denke, dass es Ingo Steuer nicht einfach hatte, da er im System der DDR groß geworden ist, seine Erfolge jedoch erst nach der Wiedervereinigung Mitte bis Ende der 90er Jahre feiern konnte. Was für ein Einschnitt dieser Übergang zwischen der DDR und dem wiedervereinigten Deutschland gewesen sein muss, kann sicher keiner von uns erfassen, der das nicht selbst erlebt hat. Von daher kann ich durchaus verstehen, dass in Ingo Steuers Leben nicht immer alles reibungslos verlaufen ist. Auch maße ich mir als jemand, der in Westdeutschland geboren wurde und zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung ein Kind war, nicht an, über seine Entscheidung, sich von der Stasi als IM anwerben zu lassen, zu urteilen. Wer weiß, wie man selbst an Ingos Stelle gehandelt hätte. Was ich ihm ankreide, ist die Art und Weise, wie er mit der Aufdeckung seiner Tätigkeit für die Stasi umgegangen ist. Ich erinnere mich noch genau daran, dass seine Reaktion eine Mischung aus Verleugnen, Verdrängen und Kleinreden war. Hätte er zu diesem Zeitpunkt – oder noch besser: vor der Entdeckung und somit von sich aus – klar Stellung bezogen und sich bei seinen Opfern entschuldigt, hätte ich das respektiert. Wahrscheinlich hätte man für ihn und seine Sportler so auch ein bessere, außergerichtliche Lösung finden können.

 

"Eiszeiten - vom Ehrgeiz getrieben" von Ingo Steuer

 

Bedauerlicherweise scheint der Umgang von Ingo Steuer mit seiner Stasi-Vergangenheit exemplarisch zu sein. Im Buch reißt er häufig ein Problem an, man gewinnt zunächst den Eindruck, er möchte reinen Tisch machen, in der  Folge flüchtet er sich jedoch in Ausflüchte und macht alle Versuche einer Aufarbeitung zu Nichte. So schreibt er z.B. sinngemäß über seine Kindheit auf dem Eis: „Mein Leben als Kind und Jugendlicher fand fast ausschließlich auf dem Eis statt. Meine Eltern hatten durch das DDR-Sportsystem wenig Einfluss auf mein Leben. Das hat mir aber ü-b-e-r-h-a-u-p-t nichts ausgemacht, denn das Eis war meine ganz, ganz große Liebe. ABER vielleicht wäre manches anders gelaufen, wenn ich in meinem jungen Leben mehr Abwechslung und Zeit für mich gehabt hätte. Vielleicht wäre ich nicht ganz so von Ehrgeiz zerfressen geworden. Andererseits bin ich mit mir selbst voll im Reinen. Und nur die Harten kommen in den Garten. Aber manchmal…“ Man sieht, es dreht sich im Kreis und echte Selbstreflexion sieht anders aus.

Ähnlich sehen auch seine Gedankengänge zum Thema Stasi aus. Ja, es war falsch, aber… (ich war jung und dumm / habe nichts Schlimmes weitergemeldet / hatte eine schwere Zeit). Richtig klar werden für mich die Beweggründe, warum er sich überhaupt von der Stasi hat einfangen lassen, im Buch nicht. Er erwähnt, dass er zu dem Zeitpunkt Probleme hatte, weshalb er jemand zum Reden gebraucht habe, wo genau seine Probleme lagen, wird nicht definiert. Hier verweist er wie so häufig auf seinen „sperrigen Charakter“, was ich für einen für eine Analyse ungeeigneten Allgemeinplatz halte.

Die komplexe Beziehung zu Aljona Savchenko wird komplett totgeschwiegen. Und gerade die Frage, ob sich ein Trainer mit seiner Schülerin einlassen sollte, halte ich für besonders kontrovers.

 

"Eiszeiten - vom Ehrgeiz getrieben" von Ingo Steuer

 

Der Schreibstil des Buches war etwas hölzern aber besser also von mir erwartet. Hier merkt man, dass eine Autorin das Schreiben übernommen hat. An der ein oder anderen Stelle kam es meiner Meinung nach zu unnötigen Wiederholungen, die das Lektorat hätte kürzen sollen.

Auch Ingo Steuer selbst ist in seinem Eiskunstlaufwissen nicht immer fehlerfrei. Auf Seite 178 behauptet er: „Ich dachte, ich höre nicht richtig, denn bis zu diesem Tag war keiner, der im Eiskunstlaufen Rang und Namen hatte, zu diesem Song [„Imagine“] gelaufen, kein Einzelläufer, kein Paar, niemand!“ Das stimmt so nicht, denn die Paarläufer Sale & Pelletier sind 2002 direkt nach den Olympischen Spielen bei ihrer „Homecoming Show“ zu „Imagine“ gelaufen. Und ich denke nicht, dass es Ingo Steuer in seiner Aussage nur um Wettkampfprogramme geht, denn er ist so in Aufregung, weil „Imagine“ bei den Olympischen Spielen 2012 in London bei der Abschlussfeier gespielt wurde.

Traurig finde ich, dass nicht nur Ingo Steuer selbst sondern auch seine Schützlinge Savchenko & Szolkowy so gar nicht in die Gemeinschaft der anderen Eisläufer integriert waren. Wenig Kontakt und nur ganz selten gemeinsame Parties. Sehr seltsam, denn selbst zu Zeiten des eisernen Vorhangs hatten Eisläufer aus Ost und West guten Kontakt (siehe Kati Witt und Brian Boitano) und niemand war isoliert. Da kann man so viele Erfolge haben, wie man will, wie wenig Spaß macht das, wenn man seine Freude über den Sieg mit niemandem teilen kann…

Zum Abschluss eine kleine Anekdote am Rande: Ingo Steuer gehört tatsächlich zu den eitlen Männern, die sich Haare transplantieren lassen!

Alles in allem eine interessante Biografie, die aber leider wichtige Teile ausspart und vor allem eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vermissen lässt.

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